Staatsstreich gegen die Wehrmacht
Neue Enthüllungen über den Fall Blomberg/Fritsch 1938
Die Liebesaffäre des alternden Kriegsministers Werner von Blomberg löste die größte innenpolitische Krise des Dritten Reiches aus: Hitler entmachtete die noch halbwegs autonome Wehrmacht. Mit neuen Dokumenten und Zeugenaussagen hat jetzt der US-Historiker Harold C. Deutsch die "Enthauptung der Armee" rekonstruiert.
Sie war blond und attraktiv, ihre Porno- Photos erfreuten sich wachsender Beliebtheit. Auch der Sittenpolizei war sic keine Unbekannte: Luise Margarethe Gruhn, Angestellte im Lokal "Der Weiße Hirsch", war ein gesuchtes Modell der Berliner Halbwelt.
Zu ihren Kunden zählte auch ein liebesdurstiger Witwer, der immer mehr eine Monopolstellung in Margarethes Bett und Freizeit begehrte. Sie ließ ihn gewähren, denn der Kavalier trug imponierende Titel: Er war Reichskriegsminister und Generalfeldmarschall, er galt als einer der engsten Mitarbeiter Adolf Hitlers. Sein Name: Werner von Blomberg.
Als sie schwanger war, verlangte die schöne Margarethe einen Gegendienst: Heirat. Der Feldmarschall schreckte zunächst davor zurück, denn die Ehe zwischen dem Kriegsminister des Deutschen Reiches und einer "Frau mit Vergangenheit" (Blomberg) verstieß gegen den Sittenkodex des preußischdeutschen Militärs. Doch Blomberg sah keinen Ausweg -- er heiratete Margarethe Gruhn.
Der Eheskandal wurde rasch ruchbar und löste eine Krise aus, die Hitler dazu nutzte, der noch nicht völlig angepaßten Wehrmacht einen schweren Schlag zu versetzen: Blomberg stürzte, der Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch, mußte seinen Abschied nehmen. 16 Generale wurden pensioniert, 44 andere versetzt, das Kriegsministerium aufgelöst und in ein Oberkommando der Wehrmacht umgewandelt.
Die Blomberg-Fritsch-Krise im Januar/Februar 1938 beseitigte die letzten Hemmnisse auf Hitlers Weg in Krieg und totale Diktatur. Von Stund an zählte auch die Wehrmacht zu Hitlers willenlosen Werkzeugen. bereit, jede Wendung und jedes Abenteuer der schrankenlos gewordenen Führerdiktat ur mitzumachen.
"Man hat das Gefühl", notierte sich Oberst Alfred Jodl, Abteilungschef im Kriegsministerium, "in einer Schicksalsstunde des deutschen Volkes zu stehen. Welch einen Einfluß kann eine Frau, ohne daß sie es ahnt, auf die Geschicke eines Volkes und damit der Welt ausüben." Auch Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht ahnte: "Dieses Mädchen hat Weltgeschichte gemacht."
Doch seltsam: "Dieses Mädchen" blieb den deutschen Historikern bis heute eine dunkle und rätselhafte Figur. Kein Chronist der Blomberg-Fritsch-Krise erforschte bislang Herkunft und Tätigkeit Margarethe Gruhns, ungelesen blieben die Dokumente, die über sie Auskunft geben konnten.
Ergebnis: Die Historiker kennen nicht einmal Frau Gruhns richtigen Vornamen (sie figuriert in deutschen Geschichtsbüchern meist als Erna oder Eva), sie schreiben ihr falsche Berufe zu und unzutreffende Motive. Auch die Geschichte des Blomberg-Sturzes wird oft mangelhaft nachgezeichnet; ebenso blieb der Fall des Heeres-OB Fritsch in manchen Einzelheiten nebulös.
Die scheinbar trostlose Quellenlage (fast alle Akten der Affäre waren verschwunden) entmutigte jede auf Genauigkeit bedachte Forschung. Sie kam jedoch allmählich in Gang, als der SPIEGEL. im September 1965 die verloren geglaubte Urteilsschrift des Kriegsgerichts im Falle Fritsch und 1966 in einer Serie ("Der Orden unter dem Totenkopf") die Aussagen ehemaliger SS-Führer veröffentlichte, die neues Licht in die Affäre brachten.
1970 stellte die West-Berliner Staatsanwaltschaft dem Institut für Zeitgeschichte in München eine weitere Schlüsselakte zu: aus dem Jahr 1938 stammende Berichte des Berliner Polizeipräsidiums über den Sittenfall Gruhn.
Die Aktenfunde lockten einen amerikanischen Historiker herbei, der gewohnt ist, mit minuziösen Forschungen einzugreifen, wo deutsche Nachkriegshistoriker versagen. Harold Charles Deutsch, 70, Professor für Neuere Geschichte am National War College in Washington, Verfasser und Mitherausgeber maßgeblicher Bücher über den deutschen Widerstand ("Verschwörung gegen den Krieg"), setzte sich das Ziel, die Geschichte des Blomberg-Fritsch-Falles zu schreiben.
Deutsch verfolgte jede Spur, die ihm neue Materialien und Erkenntnisse öffnen konnten. Er brachte ehemalige Gestapo-Beamte zum Sprechen, er sicherte sich bis dahin unbekannte Vernehmungsprotokolle und Aufzeichnungen, er befragte ehemalige Offiziere, Sekretärinnen und Funktionäre.
Für die Freundin eine Stelle in der Reichseierzentrale.
In einem Buch, das in diesen Tagen in der Bundesrepublik erscheint, hat Deutsch seine Materialien zu einer spannend-makabren Kriminalstory zusammengefaßt. Ihre Details machen erst deutlich, wie aus einer banalen Liebesaffäre die "Enthauptung der Wehrmacht" werden konnte, "Hitlers De-facto-Staatsstreich gegen die Autonomie der Wehrmacht" (Deutsch).*
Deutsch nahm die Fährte da auf, wo die Affäre begonnen hatte: in der Welt der kleinbürgerlichen Massagesalons und Kneipen des Berliner Stadtteils Neukölln. Dort war Luise Margarethe Gruhn, geboren am 22. Januar 1913, aufgewachsen, dort hatte sie Freunde, die ihr immer wieder halfen.
Die Gruhns waren Bedienstete im Königlichen Schloß gewesen, Mutter
* Harold C. Deutsch: "Das Komplott oder Die Entmachtung der Generäle"; Neue Diana Press, Zürich; 464 Seiten; 39,80 Mark.
Auguste Luise als Putzfrau, Vater Paul als Gärtner, bis die Revolution von 1918 sie aus der gewohnten Bahn warf. Nach dem Tode ihres Mannes entschied sich Mutter Gruhn für "den Beruf einer Masseuse, der in Berlin den Ruf mannigfaltiger Achtbarkeit genoß", wie Deutsch weiß. Sie machte schließlich einen Massagesalon (Hauptkundschaft: Körperbehinderte) auf, in dem auch ihre Tochter mithalf.
Margarethe Gruhn ertrug die Zusammenarbeit mit der zänkischen Mutter nicht lange, mit 18 Jahren verließ sie den Massagesalon. Sie schlug sich als Photomodell und Angestellte in Kneipen durch. Deutsch ermittelte: Einmal wurde sie unter dem Verdacht des Diebstahls verhaftet, aber nicht überführt. Sehr Konkretes enthalten die Berichte über ihre Karriere als Photomodell. Die Früchte dieser Tätigkeit reichen von Nacktphotos nach Art dar vergleichsweise harmlosen "Kalenderkunst" bis zu pornographischen Aufnahmen, die in Bars und Menschengedränge schnellen Absatz finden. Einige Exemplare erregten genügend Aufsehen, um die Grenzen zu überwinden und im Ausland Verbreitung zu finden. Dem Sohn des Außenministers Neurath wurden vom Brüsseler Polizeipräsidenten Photos von Frl. Gruhn gezeigt, die von "unbeschreiblicher Roheit" gewesen sein sollen. Es sei hier angemerkt, daß sie vom geschäftlichen Standpunkt aus anscheinend ein wenig erfolgreiches Modell war. Als sie 1931 oder 1932 zum erstenmal wohl ihr Glück damit versuchte, wurden nur acht Bilder á 50 Pfennige verkauft. In Verbindung mit einem weiteren Delikt soll sie ein milderes Urteil erlangt heben, als sie bekundete, sie hätte für ihre "Bemühungen" nicht mehr als 60 Mark bekommen.
Doch später ging ihr "Stern in der Berliner Halbwelt auf", wie Autor Deutsch urteilt. Sie weitete ihren Bekanntenkreis aus, Mitte der dreißiger Jahre traten an die Stelle der Vorstadt-Typen seriöse Herren aus der sogenannten besseren Gesellschaft.
Ab 1937 gehörte zu ihnen auch der 60jährige Generalfeldmarschall von Blomberg, der Ausgleich für die Strapazen an der Seite seines unberechenbaren Führers suchte. Seit er seine erste Frau verloren hatte, zog er abends gerne in Zivil durch Berliner Vergnügungslokale, amourösen Abenteuern nicht abgeneigt.
Auf einer seiner Vergnügungsfahrten hatte er im "Weißen Hirsch" Margarethe Gruhn kennengelernt, die dort bediente. Die kesse Blondine gefiel ihm auf Anhieb. Bald waren die beiden fest liiert. Blomberg drängte sie, ihre Liaisons mit anderen Männern abzubrechen, und beschaffte ihr einen Posten, der ihm reputierlicher erschien: eine Stelle in der Reichseierzentrale.
Die Folgen ihrer Verbindung aber zwangen Blomberg im November 1937, gegenüber seinen Kameraden allmählich Farbe zu bekennen. Er wußte nur allzu gut, daß ihm das Offizierskorps die Mehr-als-Mesalliance nie verzeihen würde, zumal es den "Gummilöwen" (Blombergs Spitzname) ohnehin nicht mochte: Kein Offizier betrieb die nationalsozialistische Gleichschaltung der
* Bei einer Besichtigung des Hohenzollernmuseums in Berlin.
Wehrmacht blindgläubiger als Werner von Blomberg.
Ein erster Vorstoß bei dem Chefjuristen des Reichskriegsministeriums scheiterte. Als der Feldmarschall die "hypothetische Frage" stellte, ob ein Offizier ein Mädchen heiraten dürfe, das in eine Affäre verwickelt gewesen sei, winkte der Jurist ab.
Göring will sich auf Blombergs Posten setzen.
In seiner Not vertraute sich der Kriegsminister Anfang Dezember dem einzigen hohen Soldaten an, von dem Blomberg annahm, er teile nicht die gesellschaftlichen Vorurteile seiner Klasse. Hermann Göring, erster Hitler-Paladin, Oberbefehlshaber der Luftwaffe und preußischer Ministerpräsident, erfuhr von Blomberg, er habe sich verliebt und wolle "ein Kind des Volkes" mit einer gewissen Vergangenheit heiraten, stoße dabei aber auf die Ablehnung seiner Kameraden. Göring zeigte sich huldvoll: Das gehe schon in Ordnung, er solle sich nur keine Sorgen um die "reaktionären" Militärs machen.
Ohne es zu ahnen, hatte Blomberg den ersten Schritt zu seinem Sturz getan, denn niemand erstrebte gieriger den Kriegsminister-Posten als Göring.
Ein paar Tage später meldete sich Blomberg wieder bei Göring, er hatte eine neue Bitte: Ein Nebenbuhler stehe ihm bei Margarethe Gruhn im Wege; ob Göring nicht eine Möglichkeit sehe, den Mitbewerber loszuwerden. Göring griff ein. Er wies den Leiter der Reichsgetreidestelle an, den Blomberg-Rivalen auf einen gutbezahlten Posten in Argentinien abzuschieben.
Doch noch ehe der ausmanövrierte Liebhaber Mitte Dezember abreiste, bat er bei Göring um Audienz und weihte ihn über die Freundin ein. Sicher habe der Feldmarschall, vermutete der Besucher, Göring nicht alles über die Vergangenheit der Gruhn erzählt.
Ein Schulfreund Heydrichs verrät die Gestapo-Intrige.
Mit einem Schlag erkannte Göring, welche Chance sich ihm hier bot: Konnte er erst einmal publik machen, daß Blomberg eine "vorbestrafte Dirne" (Hitler) geheiratet hatte, war für Göring der Weg auf den Posten des Kriegsministers frei. Nur ein Mann mochte ihm dann noch gefährlich werden: der Heeres-Oberbefehlshaber Fritsch, natürlicher Anwärter auf den Blomberg-Posten. Ihn zu beseitigen, lag auch im Interesse Hitlers, der in dem Generalobersten (wie so viele Deutsche) den Führer einer kommenden Militärdiktatur sah. In Göring keimte ein Plan auf, den Deutsch so beschreibt:
Der Einsatz war wirklich hoch -- es ging um nicht weniger als die Kontrolle über die Wehrmacht. Der liebeskranke Blomberg stellte kein Problem mehr dar. Der Kriegsminister hatte sich durch seine Torheit für den Tiefschlag, den Göring vorbereitete, gerade in die richtige Positur gesetzt. Das wirklich ernstzunehmende Hindernis bildete Fritach. Seiner Kandidatur gab es nichts entgegenzusetzen -- falls nicht persönliche Schwächen gegen ihn ins Spiel gebracht werden konnten. Und das mußte bei einem Mann, der mit seinem makellosen Lebenswandel überall Respekt und Achtung genoß, auf den ersten Blick äußerst schwierig erscheinen. Doch Görings Phantasie erwies sich wie stets als fruchtbar, wenn es darum ging, jemandem Schaden zuzufügen. Er kam auf die Idee, den Junggesellen Fritsch, der im Gegensatz zu Blomberg so auffallend ohne Liebschaften mit Frauen war, auf die entgegengesetzte Weise zu Fall zu bringen.
Das ließ sich freilich nicht ohne die Führer von SS und Polizei verwirklichen, die längst den Generalobersten von Fritsch als den Mann ausgemacht hatten, der das Heer noch immer vor dem letzten Zugriff des NS-Regimes schützte. Fritsch stand auf der schwarzen Liste der Gestapo -- Grund genug für den SS-Chef Heinrich Himmler und seinen Sicherheitspolizei-Chef Reinhard Heydrich, sich mit Göring gegen Fritsch und die Wehrmachtführung zu verbünden.
In den letzten Dezembertagen legten sie ihre Netze aus: Margarethe Gruhn wurde unter Polizeibeobachtung gestellt, zwei Gestapo-Beamte reisten dem in Ägypten kurenden Fritsch nach, das Geheime Staatspolizeiamt (Gestapa) präparierte Belastungsmaterial gegen den Heeres-OB.
Inzwischen stellte Göring eine raffinierte Falle auf. Der Luftwaffenchef schlug Blomberg vor, er möge Fritsch und den Marine-Oberbefehlshaber Raeder bitten, auf der Hochzeit die Rolle der Trauzeugen zu übernehmen. Deutsch:
Wenn Fritsch und Raeder als Trauzeugen fungierten, würde die Heirat für Außenstehende als eine innere Angelegenheit der Wehrmacht erscheinen; und wenn die Geschichte von der Vergangenheit der Frau ans Licht kam, wären nicht nur Fritsch und Raeder kompromittiert und Blomberg bloßgestellt, sondern auch die Wehrmacht wäre viel tiefer in die Sache hineingezogen.
Ein Schulfreund Heydrichs, der NS-Gegner Erich Schultze, vereitelte jedoch den Plan. Er erfuhr am 10. Januar 1938 von dem Sipo-Chef, Feldmarschall Blomberg sei drauf und dran, an der Seite der Trauzeugen Fritsch und Raeder Fräulein Gruhn zu heiraten. Er, Heydrich, werde "drei auserwählte Ziele mit einem einzigen Schuß treffen".
Schultze durchschaute das Spiel und warnte Fritsch. Der unpolitische Heeres-OB geriet in Panik und sagte sich nach kurzer Beratung mit Raeder von der ihm zugedachten Rolle auf der Blomberg-Hochzeit los. Am nächsten Morgen fuhr er zu Blomberg, dem er einredete, es wäre doch eigentlich eine Beleidigung des Führers, wenn der Feldmarschall nicht ihn bitte, persönlich den Part des Trauzeugen zu übernehmen. Freudig griff Blomberg den Vorschlag auf.
Fritsch aber hatte mit seiner Velegenheitsgeste die Blomberg-Hochzeit
* Rechts: Gestapo-Chef Müller.
nun vollends zur Staatsaffäre gemacht. Trauzeuge Hitler erschien tatsächlich zu der kleinen Hochzeitsfeier, die am Mittag des 1. Januar im Reichskriegsministerium stattfand. Kein Verwandter Blombergs, nur ein einziger Freund war geladen; unbehaglich warteten Hitler, der zweite Trauzeuge Göring und Mutter Gruhn ab, bis sie wieder abtreten konnten.
Hastig fuhr das Paar in die Flitterwochen, nur eine kurze Meldung in der Presse verzeichnete das Ereignis. Kein Photo verriet, wie die neue Frau des höchsten Soldaten Deutschlands aussah. Erst ein Photoreporter, der die Hochzeiter vor dem Affenkäfig im Leipziger Zoo stellte, befriedigte erste Neugierde. Sein Bild erschien in allen deutschen Zeitungen.
Eben dies Bild aber löste nun aus, worauf Göring spekuliert hatte: den Skandal.
Am 21. Januar ging dem Kriminalrat Curt Hellmuth Müller vom Reichskriminalpolizeiamt (RK PA) eine Sammlung von Pornobildern zu, auf denen ihm eine Frau bekannt vorkam, zumindest ihr Name. Eine Nachfrage im Einwohnermeldeamt bestätigte ihm, wer die Nackte war: Margarethe Gruhn. Müller meldete sich sofort bei Kripo-Chef Arthur Nebe, und der entsetzte sich: "Mensch, Kamerad Müller, und dieser Frau hat der Führer die Hand geküßt."
Doch statt die Akte sofort seinem Vorgesetzten Heydrich vorzulegen, spielte Nebe sie dem Berliner Polizeipräsidenten Wolf-Heinrich Graf von Helldorf zu, und das hatte seinen Grund: Der SS-Obersturmbannführer Nebe, Chef des RKPA, gehörte zu einer Fronde enttäuschter Nationalsozialisten und entschiedener Hitler-Gegner, mit der auch der SA-Obergruppenführer Helldorf sympathisierte.
General Keitel soll
Pornophotos identifizieren.
Helldorf erkannte sofort, was die Gruhn-Akte in der Hand Himmlers und Heydrichs bedeuten wurde, und wollte die Wehrmacht warnen. Als zweifle er noch daran, daß die Nackte auf den Photos und die neue Frau von Blomberg identisch seien, kontaktierte Helldorf den engsten Mitarbeiter Blombergs, General Wilhelm Keitel, Chef des Wehrmachtsamtes im Kriegsministerium; er bat um Auskunft, ob die Photos die Frau Feldmarschall zeigten.
Der phantasielos-subalterne General erschrak und reagierte hilflos. Da er die Frau nicht kannte und Blomberg nicht in Berlin war, fiel ihm nichts anderes ein, als Helldorf an Göring zu verweisen. Deutsch kommentiert:
Wiederum hätte die Geschichte einen anderen Vertauf nehmen können, wenn sich Keitel in diesem kritischen Augenblick der Akte angenommen und sie zum rangersten Offizier der Wehrmacht, zu Fritsch, gebracht hätte. Die Wehrmacht hätte Hitler den Fall Blomberg vorgelegt und nicht umgekehrt. Doch Keitels Treueverhältnis gegenüber dem Heer war in den drei Jahren seiner Amtszeit im Wehrmachtsamt nicht das alte geblieben. Im Bestreben, nicht persönlich involviert zu werden, machte er sich anscheinend lediglich Gedanken darüber, wie er bei dieser ganzen unglückseligen Angelegenheit möglichst schnell seine Hände reinwaschen könne. Er schlug vor. die Sache Göring zu übergeben, und rief im Luftfahrtministerium an, um einen sofortigen Termin für Helldorf zu Vereinbaren. Dazu forderte er, daß Göring die Information noch am gleichen Abend an Hitler weiterleiten sollte.
So landete schließlich die Akte in den Händen des Mannes, der seit Tagen auf die Chance wartete, den Fangschuß auf Blomberg abzufeuern. Göring zögerte keinen Augenblick.
Kaum wußte er, daß Hitler für den Abend des 24. Januar vom Berghof zurückerwartet werde, da fand er sich in der Reichskanzlei ein. Nicht ohne schauspielerisches Talent wußte er unter Hitlers wartenden Gehilfen das Gefühl drohenden Unheils zu erzeugen.
Schnaufend und klagend lief er herum, jeder bekam zu hören, immer müsse er dem Führer die unangenehmen Nachrichten bringen. "Was hat er denn?" fragte Hitler-Adjutant Wiedemann den Göring-Adjutanten Bodenschatz. Darauf Görings Mann: "Blomberg muß gehen. Wiedemann glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Bodenschatz: "Ich sage dir doch, Blomberg muß gehen, er hat eine Hure geheiratet!"
Kurz darauf erschien Hitler, sofort verschwand Göring mit seinem Führer in dessen Arbeitszimmer. In dramatischen Worten setzte er Hitler ins Bild, die Photos der mitgebrachten Gruhn-Akte illustrierten drastisch seine Geschichte.
Hitler war schockiert. Der Trauzeuge Blombergs fühlte sich bloßgestellt, in ihm brach eine Welt naiven Vertrauens in das preußisch-deutsche Militär zusammen.
Ein Erpresser: Fritsch ist ein Homosexueller.
Doch instinktsicher witterte Hitler die Chance, mit einem Hieb die ganze Führung der Wehrmacht zu entmachten. Denn sofort war in dem Gespräch zwischen Hitler und Göring die Frage aufgetaucht, wer Nachfolger Blombergs werden solle. Der unvermeidliche Name fiel: Fritsch.
Göring hatte das Stichwort bereit. Er erinnerte den Diktator, gegen den Oberbefehlshaber des Heeres liege ebenfalls etwas vor, und jetzt kam es auch Hitler ins Gedächtnis zurück: Schon 1936 hatte die Gestapo Fritsch in den Verdacht gebracht, gegen den Homosexuellen-Paragraphen des Strafgesetzbuches verstoßen zu haben.
Die Beschuldigung stammte von einem Berliner Gewohnheitsverbrecher namens Otto Schmidt, der 1935 bei einer Großfahndung nach Homosexuellen in die Hände der Gestapo geraten war. Der renommiersüchtige Schmidt, wiederholt wegen Diebstahls, Betrugs und Erpressung verurteilt, behauptete, er habe Hunderte von Menschen, darunter auch Prominente, erpreßt, meist Homosexuelle, die von ihm in flagranti ertappt worden seien. Und er nannte Namen: Polizeipräsident Graf von Wedel, Reichswirtschaftsminister Funk, auch einen "General Fritsch".
Der Name Fritsch elektrisierte den Kriminalrat Josef Meisinger, Urtyp des ungehobelt-korrupten Altnazis, der in der Abteilung II-H des Geheimen Staatspolizeiamtes die "Reichszentrale für die Bekämpfung der Homosexualität" leitete. Er legte Schmidt ein Bild des Heeres-OB vor und fragte ihn, ob dies der Erpreßte sei. Schmidt: "Das ist er.
Dann erzählte der Gestapo-Häftling eine abenteuerliche Geschichte:
An einem Novemberabend des Jahres 1933 habe er in der Vorhalle des Wannseebahnhofs in Berlin einen Mann beobachtet, der dort mit dem Strichjungen Martin Weingärtner, genannt Bayern-"Seppl", zusammengetroffen sei; die beiden seien in die dunkle, der Reichsbahn gehörende Privatstraße gegangen und hätten in einer Nische einen gleichgeschlechtlichen Akt begangen.
Er, Schmidt, sei dem davoneilenden Mann hinterhergegangen und habe ihn am Potsdamer Platz zur Rede gestellt, wobei er sich als "Kriminalkommissar Kröger" vorgestellt habe. Der Mann habe gesagt, er sei der General Fritsch, und das habe er durch einen Ausweis bewiesen.
Er habe dann von dem Mann Schweigegeld verlangt, dieser aber beteuert, er trage nur 100 Mark bei sich. Sie seien zusammen nach Lichterfelde gefahren, wo der Mann in dem Haus 21 der Ferdinandstraße verschwunden sei. Er habe ihm schließlich 500 Mark in die Hand gedrückt und weitere 1000 Mark von seinem Konto auf der Dresdner Bank für den nächsten Tag versprochen. Auch dieses Geld habe Schmidt erhalten, weitere 1000 Mark seien ihm in Aussicht gestellt worden.
Diese letzte Summe habe er Mitte Januar 1934 im Wartesaal des S-Bahnhofs Lichterfelde-Ost in Empfang genommen -- diesmal in Begleitung eines seiner Freunde, des Arbeiters Heiter, genannt "Bucker", den er dem Erpreßten als seinen Chef vorgestellt habe.
Vernehmer Meisinger triumphierte: Die Aussagen des Otto Schmidt im Juli 1936 sicherten der Gestapo eine tödliche Waffe gegen den Soldaten, der das Heer noch immer dem Totalitätsanspruch des NS-Regimes entzog. Himmler legte seinem Führer das Vernehmungsprotokoll vor, doch Hitler warf nur einen flüchtigen Blick in die Akte und befahl, "diesen Dreck" zu verbrennen. Der Militärtechniker Fritsch war dem Aufrüstungsfanatiker Hitler zu dieser Zeit viel zu unentbehrlich, als daß er ihn wegen eines "solchen Wischs" opfern wollte,
Diese -- offiziell vernichtete -- Fritsch-Akte ließ Göring im Dezember 1937 rekonstruieren, als er den Coup gegen die Wehrmachtführung vorbereitete. Meisinger ordnete neue Ermittlungen an.
Bald kamen freilich selbst Meisinger und seinem engsten Mitarbeiter, dem Kriminalinspektor Fehling, erhebliche Zweifel, ob Schmidts Story stimme. Mitte Januar wußten sie bereits, daß der Erpresser gelogen hatte -- nicht Generaloberst Freiherr von Fritsch war sein Opfer gewesen, sondern der pensionierte Rittmeister Achim von Frisch. Darüber weiß jetzt Deutsch: Das neuerliche Verhör Schmidts ist dieses Mal mit einer weitgreifenderen Untersuchung verbunden. 1936 war Heiter anscheinend die einzige Person aus seiner Geschichte gewesen, die man zur Vernehmung geholt hatte. Nun tritt die
Gestapo zum erstenmal an den Bayern-Seppl heran, der leugnet, daß der Mann des Vorfalls von 1933 mit der ihm auf dem Photo von Fritschs gezeigten Person identisch ist. Das führt zu einem weiteren, intensiveren harten Verhör Schmidts und erbringt das Eingeständnis, daß seine ganze Geschichte sich lediglich auf den pensionierten Kavalleristen Rittmeister von Frisch bezieht. Wie sonst wäre es dazu gekommen, daß am 15. Januar Fehling und ein Gestapo-Kollege den schwerkranken Rittmeister aufsuchen? Was sie von ihm erfahren, führt sie zur Dresdner Bank und den Kontoauszügen und Abbuchungen, die mit den in Schmidts Aussagen angegebenen Zahlungen übereinstimmen. Alles ist jetzt erschreckend klar, es gibt überhaupt keinen Fall Fritach, sondern nur einen, in dessen Mittelpunkt der völlig uninteressante Frisch steht.
Die Affäre Fritsch war geplatzt, noch ehe sie so recht begonnen hatte. Doch Göring ließ sich von seinem Kurs nicht mehr abbringen. Am Morgen des 25. Januar lag die für den Sturz Fritschs präparierte Gestapo-Akte auf Hitlers Schreibtisch, als sich der Wehrmachtadjutant Oberst Friedrich Hoßbach befehlsgemäß bei seinem Führer meldete, um mit ihm den Fall Blomberg zu erörtern.
Mit dem Kriegsminister machte Hitler "kurzem Prozeß" (Deutsch). Dem Adjutanten eröffnete Hitler, der Feldmarschall habe zwar große Verdienste um den Aufbau der Wehrmacht. aber er habe seinen Führer über die Person der neuen Frau arg getäuscht; er, Hitler, müsse sich deshalb von ihm trennen.
Hoßbach bat daraufhin, Blomberg Gelegenheit zu geben, die belastenden Dokumente zu überprüfen und dazu Stellung zu nehmen. Hitler stimmte zu, ja, er ließ sogar durchblicken, Blomberg könne bleiben, wenn er sich von seiner Frau scheiden lasse. Ein Beauftragter wurde in Marsch gesetzt, Blomberg zu informieren. Wer aber war der Beauftragte? Kein anderer als Göring. Und er setzte dem Feldmarschall so brutal zu, daß Blomberg keine andere
* Mit Wirtschaftsminister Funk (l.) und dem südafrikanischen Botschafter Gie.
Wahl hatte, als zu seiner Frau zu halten.
Als Blomberg wissen wollte, ob er im Falle einer Scheidung sein Amt behalten dürfe, verneinte Göring. Dazu Deutsch:
Es kann kaum einen Zweifel geben, daß Göring an diesem Punkt Geist und Buchstabe seiner Instruktionen überstrapazierte, um Blomberg nicht zu ermuntern, seine Frau zu verstoßen, um sich vielleicht auf diese Weise den Weg für seine Rückkehr in Gnaden offen zu halten. Es gibt keinerlei Hinweise, daß ihn Hitler angewiesen hatte, die Dinge in diesem Licht erscheinen zu lassen.
Göring kehrte triumphierend in die Reichskanzlei mit der Meldung zurück, Blomberg sei ein "völlig fertiger Mann". Für Hitler war die Affäre Blomberg erledigt. Und schon warf er gegenüber Hoßbach den nächsten Fall auf: Der Heeres-OB müsse ebenfalls gehen; er sei als Homosexueller kompromittiert. den Beweis halte er, Hitler, seit Jahren in der Hand.
Auf einmal begriff Hoßbach, daß es gar nicht mehr um Personen ging, sondern um einen "Tiefschlag gegen das Haupt des Heeres". Sofort informierte er Fritsch. Der Heeres-OB war wie gelähmt, er hatte nur einen Kommentar: "Erstunken und erlogen!" Mehr sagte er nicht. Und schon in dieser Stunde wurde deutlich, daß die größte Krise der Wehrmacht ein nur in Gehorsam und Führerkult geübtes Soldatengeschlecht fand.
Görings Intrige scheitert -- Hitler lehnt ihn ab.
Das traf vor allem auf Werner von Fritsch zu, den das Fehlurteil der Zeitgenossen zu einem heimlichen Gegenspieler Hitlers gestempelt hatte. Er stand vielleicht mehr als jeder andere General seiner Zeit im Banne Adolf Hitlers; bis zum Schluß konnte er nicht verstehen, was ihm sein Führer angetan hatte.
Immerhin ließ sieh Hitler herbei, Fritsch persönlich zu hören -- freilich auf eine beklemmende Art: Er stellte ihn dem Zeugen Schmidt gegenüber. Am Abend des 26. Januar wurde Fritsch in die Reichskanzlei gerufen. Er eilte herbei, wollte endlich "das Schwein" sehen und prallte mit Schmidt an der Treppe zusammen. Schmidt: "Das ist er!" Fritsch: "Den Herrn kenne ich nicht."
Fritsch reagierte freilich so lahm, daß selbst sein Ehrenwort Hitler (angeblich) nicht überzeugte.
Jetzt sah Göring seine Stunde gekommen. Kaum hatte Hitler entschieden, Generaloberst von Fritsch sei bis zur Klärung der Angelegenheit von seinen Amtsgeschäften zu entbinden, da brachte Göring vorsichtig seine Kandidatur für die Blomberg-Nachfolge ins Spiel. Den Adjutanten Wiedemann und den zum Rapport befohlenen Keitel drängte er, ihn bei Hitler als neuen Reichskriegsminister zu empfehlen.
Doch Hitler lehnte fast verächtlich ab: "Kommt gar nicht in Frage. Der Göring versteht ja nicht einmal eine Besichtigung bei der Luftwaffe. Da verstehe ich ja mehr davon." Hitler hatte längst einen neuen Kriegsminister, einen neuen Herrn für die Wehrmacht ausgesucht: sich selber. Hitler zahlt eine Abfindung für die Scheidung.
Die Enthauptung der Wehrmacht aber förderte nun keiner leidenschaftlicher als der Mann, der die Krise ausgelöst hatte. Da sich Blomberg (zu Unrecht, wie Deutsch nachweist) von seinen Kameraden verfolgt und geächtet fühlte, zahlte er während seiner Abschiedsvisite bei Hitler am 27. Januar ihren vermeintlichen Haß doppelt zurück. Fritsch. stichelte er, sei schon ein merkwürdiger Kerl, homosexuelle Neigungen seien ihm durchaus zuzutrauen; am besten, der Führer übernehme selber die Leitung der Wehrmacht. Er bot sich sogar als Denunziant an, wie Deutsch berichtet:
Als sei er noch nicht mit dem zufrieden, was er bereits getan hatte, um das Heer Hitler in die Hände zu spielen, benannte Blomberg in der Folge jene Generale, von denen er Grund hatte zu glauben, daß ihre Haltung gegenüber dem nationalsozialistischen Staat keineswegs kooperativ war. Es wundert einen kaum, daß Generalstabschef Beck, als er davon erfuhr, den ehemaligen Kriegsminister als einen "Schutt brandmarkte.
Hitler griff Blombergs Vorschläge nur allzu gerne auf. Schon am nächsten Tag erfuhr Keitel von seinem Führer, er werde das Kriegsministerium auflösen und die Führung der Wehrmacht selber übernehmen -- mit Keitel als Stabschef.
Blieb nur die Frage, wer an Stelle Fritschs die Führung des Heeres übernehmen sollte. Noch hielten die maßgeblichen Generale des Heeres zu Fritsch und unterliefen vorsichtig alle Nachfolge-Vorschläge Hitlers. Doch schon hatten Hitler und der servile Keitel einen Soldaten erspäht, der schwach und anfällig genug war, den ihm zugedachten Part zu spielen: Walther von Brauchitsch.
Der General von Brauchitsch, Befehlshaber im Wehrkreis I (Ostpreußen), galt als einer der begabtesten und vornehmsten Offiziere des Heeres. Fritsch nannte ihn sein "bestes Pferd". Nur wenige kannten den "gesellschaftlichen Sumpf, der den verzweifelten General zu verschlingen drohte" (Deutsch): Er war, ähnlich wie Blomberg, in eine fatale Frauenaffäre verwickelt.
Er hatte vor etwa 12 Jahren in Breslau die bezaubernde Charlotte Rüffer, die geschiedene Gattin eines Offizierskameraden, kennengelernt und war einer ihrer Beschützer geworden. Ohne Zweifel war sie eine gutaussehende Frau mit ausgeprägter weiblicher Ausstrahlung, die selbst Hitler nicht teilnahmslos ließ. Die Weigerung seiner Frau, in eine Scheidung einzuwilligen, sowie seine Versetzung auf einen anderen Posten hatten dann die Beziehung unterbrochen. Bevor sie sich zu Beginn der Nazizeit wiedertrafen, hatte Charlotte einen Bankdirektor namens Schmidt geheiratet; sie verlor jedoch bald ihren Mann, der in einer Badewanne ertrank. Brauchitsch, der die Beziehungen zu Charlotte wiederangeknüpft hatte und jetzt völlig vernarrt war, wollte sich von seiner Frau scheiden lassen. Diese stellte ihn vor die Alternative: öffentlicher Skandal oder eine finanzielle Abfindung, die seine Möglichkeiten bei weitem überstieg. Seit fünf Jahren lebte er mit seiner Frau nicht mehr zusammen und jetzt, 1938, wer er bereit, praktisch jedes Opfer zu bringen, um dem unhaltbaren Zustand ein Ende zu setzen.
Blomberg und Keitel kannten Brauchitschs Zwangslage, sofort wußten sie: Das war der geeignete Mann, das Heer endgültig an das NS-Regime zu binden
vorausgesetzt. Hitler erwies sich als großzügig und zahlte die Summe, die Frau von Brauchitsch verlangte.
Brauchitsch wurde nach Berlin gerufen, am 31. Januar stand er vor Hitler. Keitel hatte inzwischen die Bedingungen formuliert, unter denen Hitler den General zum Oberbefehlshaber des Heeres ernennen und dessen Scheidungssumme zahlen wollte: nationalsozialistische Erziehung des Heeres, Ablösung des antinationalsozialistischen Generalstabschefs Beck im Laufe des Jahres, "Säuberung" des höheren Offizierskorps von Regime-Kritikern.
Als Brauchitsch zögerte, half Keitel auf seine Art: Er entsandte einen Sohn Brauchitschs zu dessen Mutter, um sie zum Nachgeben zu veranlassen. Die Frau, laut Deutsch "ein unweiblicher "Gouvernanten-Typ", dem es an Herzlichkeit mangelte", willigte in die Scheidung ein und verlangte eine Abfindung von 80 000 Mark. Keitel setzte sich dafür ein, das Geld aus Hitlers Kasse zu zahlen.
Noch zweimal traf sich Brauchitsch mit Hitler und feilschte über die Details der Neuordnung der Wehrmacht, ehe "die Knechtschaft des Generals" (Deutsch) perfekt war. "Er sei zu allem bereit", notierte sich Keitel-Gehilfe Jodl über Brauchitsch. Bald war er sich sicher: "Die Schlacht ist gewonnen"
Adolf Hitler hatte es geschafft, die Wehrmacht war politisch entmannt. Noch harrte freilich der Kriminalfall Fritsch seiner Lösung. Kaum war sich Hitler seines Brauchitsch sicher, da verlangte er den Rücktritt des alten Heeres-OB.
Vergebens bestürmten die Freunde Fritsch, den Befehl des Diktators zu ignorieren und sieh mit zuverlässigen Einheiten des Heeres gegen die Zumutungen des Regimes zur Wehr zu setzen. In einem oppositionellen Offizierskreis rund um die Führung der Abwehr und der Militärjustiz wurde der Plan erwogen, durch einen Putsch Hitler zumindest zu entmachten.
Doch Fritsch, resigniert und müde, verweigerte sich solchen Plänen; am 1. Februar schickte er Hitler sein Rücktrittsgesuch. Sein einziger Widerstand: Er verlangte volle Rehabilitierung durch ein Kriegsgericht.
Eben dies versuchte Hitler zunächst mit allen Mitteln zu verhindern. Er verlangte, Fritsch solle unter gegenseitigem Schweigen ohne Verfahren abtreten. Als Fritsch ablehnte, kam Hitler eine neue Idee: Dann solle ein Sondergericht über den Fall entscheiden. Dieses Projekt wiederum torpedierte der Chefjurist der Wehrmacht mit dem Hinweis, für Fritsch komme allein ein Militärgericht in Frage.
Als selbst der schwächliche Reichsjustizminister franz Gürtner meinte, allein ein richterlicher Spruch könne Klarheit bringen, gab Hitler nach, freilich auf seine doppelbödige Art: Das Reichskriegsgericht sollte eine Untersuchung einleiten, zugleich aber die Gestapo ihre Ermittlungen fortsetzen.
Die Gestapo ließ denn auch nichts unversucht, die Schuld Fritschs nachzuweisen. Schon am 27. Januar hatte sich der Generaloberst wiederum gegen den Rat seiner Freunde -- einem Verhör durch die Gestapo gestellt. Er bestritt abermals die Schmidt-Story, jedoch so halbherzig, daß sogar die Gestapo-Vernehmer über soviel "Mangel an souveräner Gelassenheit" (Deutsch) staunten.
Für Fritsch aber erwies es sich als Glück, daß ihn ein Mann vernahm, der in den Fall nicht eingeweiht, sondern nur durch einen Zufall in die Affäre hineingeraten war. Der Kriminaloberinspektor Franz Josef Huber hatte die Vernehmung nur übernommen, weil der zuständige Meisinger in Urlaub gefahren war.
Wie ungeschickt sich auch Fritsch verteidigen mochte -- Huber wurde das Gefühl nicht los, daß an der Schmidt-Geschichte etwas nicht stimmte. Er beschloß, auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen. Er recherchierte im Gestapa und wurde in kurzer Zeit fündig. Deutsch: Bevor er das Gebäude verließ, beschloß er, noch eine Runde durch die nun verlassenen und stillen Diensträume von Meisingers Abteilung, zu machen. Er zögerte nicht, einen Blick auf die Schreibtische der Untergebenen Meisingers zu werfen. Auf einem lag in Sichtweite ein Kontobuch oder Bankauszug, auf dem sich mit raschem Blick der Name Rittmeister von Frisch entziffern ließ. Bis 1933 und 1934 zurückblätternd, fand Huber eine Aufzeichnung von Abhebungen, die genau mit den im Fritach-Dossier" angeführten Zahlungen übereinstimmten. Huber war zumute, als ob er "von einer Tarantel "gestochen" worden Wäre. Augenblicklich begriff er, das Fritsch unschuldig war und irgend jemand absichtlich die beiden Namen verwechselt hatte.
Huber vertraute sich dem Gestapo-Justitiar Werner Best an, der bereits ähnliche Bedenken hegte und sie Himmler vorgetragen hatte. Das Gespräch mit dem SS-Chef war jedoch so unangenehm verlaufen, daß Best alle Lust verloren hatte, noch einmal zu intervenieren. Prompt schickte er Huber allein zu dem nächsten Vorgesetzten: Heydrich.
Der SD-Chef war in seinem Zimmer. Als er erfuhr, was ans Licht gekommen war, wurde Heydrich kalkweiß. sagte aber nur: "Wir müssen sogleich den Reichsführer benachrichtigen." Daraufhin gingen die beiden die Halle hinunter zu Himmler. Phlegmatischer als sein Gehilfe, dessen Mimik so verräterisch war, konnte Himmler seine Gefühle besser verbergen. Er hörte sich Hubers Bericht bis zu Ende an. sagte lediglich. "Danke, Sie haben Ihre Sache gut gemacht und entließ ihn. Im Gestapa aber sprach sich rasch herum, was Huber entdeckt hatte. Davon erfuhr auch Nebe bei seinen täglichen Besuchen in der Prinz-Albrecht-Straße; prompt spielte er den Fritsch-Freunden in der Abwehr einen Tip zu: Im Falle Fritsch, ließ er ihnen ausrichten, gehe es um eine Personenverwechslung.
"Sie können Viktoria schießen lassen!"
Jetzt kamen auch die Fahndungen der Fritsch-Freunde im Reichskriegsgericht in Fahrt. Der antinationalsozialistische Militärrichter Karl Sack, der dem bieder-ängstlichen Untersuchungsführer Biron attachiert war, suchte mit Hilfe der Abwehr nach dem Doppelgänger Fritschs.
Sack und der Fritsch-Anwalt Graf von der Goltz versuchten, die Aussagen des Schmidt zu erschüttern. Sie konnten nachweisen, daß Fritsch niemals in der Gegend der Ferdinandstraße gewohnt und niemals den von Schmidl beschriebenen Ausweis besessen haue.
Doch das genügte nicht. Sie erkannten rasch, daß sich der von Schmidt beschriebene Vorgang tatsächlich abgespielt haben mußte. Sack konnte bald ganz sicher sein, daß nicht Fritsch das Opfer gewesen war, denn inzwischen hatte er den Strichjungen Weingärtner verhört, der bestätigte, bei dem Mann am Wannseebahnhof handele es sich nicht um den Generalobersten. Daraufhin besichtigten Sack und Biron die Lokale, in denen Schmidt mit seinem Opfer zusammengetroffen war, Eine Kellnerin im Wartesaal des Bahnhofs Lichterfelde-Ost erinnerte sich an den Mann; er sei ein pensionierter Offizier, der möglicherweise in der Ferdinandstraße wohne.
Noch ehe Sack und Biron in die Ferdinandstraße fuhren, hatte Goltz den richtigen "Fritsch" gefunden. Er forschte das Adreßbuch nach dem Namen Fritsch oder einem ähnlich klingenden Namen. Da las er: "Achim von Frisch, Rittmeister a. D." Am 2. März 1938 standen Sack und Biron vor dem echten Partner des Bayern-Seppl. Er gestand alles.
Goltz eilte zu seinem Mandanten und rief ihm zu. ohne jeden Gruß, nur die sensationelle Nachricht im Kopf: "Herr Generaloberst, Sie können Viktoria schießen lassen, der wirkliche Fritsch ist gefunden, der Fall ist restlos aufgeklärt." Fritsch aber zweifelte; "Auch das wird dem Führer nicht genügen. Er will etwas Derartiges nicht glauben."
Das Gericht indes, das am 10. März die Hauptverhandlung gegen Fritsch eröffnete, sprach den ehemaligen Heeres-OB frei, zumal der Opportunist Göring, Vorsitzender des Gerichts und inzwischen von seinem dankbaren Führer mit dem Titel eines Generalfeldmarschalls abgefunden, es geschickt verstanden hatte, sich in letzter Minute auf die Seite des Heeres zu schlagen und den noch immer leugnenden Schmidt der Lüge zu überführen.
Am 18. März 1938 erging das Urteil: "In der Sache gegen den Generaloberst a. D. Werner Freiherr von Fritsch hat das Gericht des Obersten Befehlshabers der Wehrmacht ... für Recht erkannt: Die Hauptverhandlung hat die Unschuld des Generaloberst a. D. Freiherr von Fritsch in allen Punkten ergehen."
Doch das Unheil war schon perfekt, die Wehrmacht auf den Kriegskurs Hitlers gebracht. Fritsch wurde zwar rehabilitiert, Hitler aber rief ihn niemals in den Dienst zurück (wie auch Blomberg, dessen Reaktivierung am Widerstand des Heeres scheiterte).
Hitler verlieh Fritsch nur den Ehrentitel eines Chefs des 12. Artillerie-Regiments, mit dem er in den Polenkrieg zog. Am 22. September 1939 fiel er vor Warschau. Hitler ordnete ein Staatsbegräbnis an und schickte einen Vertreter -- Göring.
Von Fritsch aber blieb ein Wort zurück, das Fatalismus und Unzulänglichkeit einer ganzen Offiziersgeneration widerspiegelte. Fritsch über Hitler: "Dieser Mann ist Deutschlands Schicksal, im Guten und im Bösen, und dieses Schicksal wird seinen Weg zu Ende gehen; geht es in den Abgrund, so reißt er uns alle mit -- zu machen ist da -- nichts."