NS-Verbrechen - Tod am Nil

Publié le par Der Spiegel Von Deggerich, Markus; Ahl, Amira El; Schmitt, Jörg

Der frühere KZ-Arzt Aribert Heim wurde offenbar auch während seiner Flucht nach Ägypten von seiner Familie unterstützt - unter den Augen der Fahnder.

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Ataba ist ein Viertel in Kairo, in das sich nur selten ein Tourist verläuft. Wahrscheinlich war es gerade deshalb für den großgewachsenen Deutschen das perfekte Versteck. Abd al-Hakim Duma erinnert sich noch gut an den schlanken sportlichen Mann, den hier alle nur "den Ausländer" nannten.

Dumas Vater gehörte das Hotel Kasr al-Medina in der Port-Said-Straße. Der Ausländer lebte im 7. Stock in einem einfachen Zimmer gleich neben der Familie Duma. "Er war oft bei uns zum Mittagessen", erinnert sich Abd al-Hakim Duma. Der Deutsche nannte sich nach seinem Übertritt zum Islam Tarek Hussein Farid und sprach fließend Arabisch. Für die Kinder war er wie ein Onkel, er nahm sie oft mit auf seine Spaziergänge. Zu Hause in Deutschland habe er "Probleme mit seiner Familie", lautete die Begründung für seine Emigration.

Die Probleme waren weit existentieller: Bei dem Hotel in Kairo handelt es sich offenbar um die letzte Zuflucht von Aribert Heim, der 1941 im Konzentrationslager Mauthausen bestialisch gemordet haben soll und seit 1962 mit Haftbefehl gesucht wurde. Vergangene Woche lüfteten die "New York Times" und das ZDF in Teilen das Geheimnis um das Schicksal des Altnazis: Heim sei bereits am 10. August 1992 im Alter von 78 Jahren in Kairo an den Folgen eines Krebsleidens gestorben. Mehrere Zeugen, darunter Heims Sohn Rüdiger, und eine gut gefüllte Kladde mit Dokumenten würden sein Leben im Untergrund belegen.

Die Nachricht vom Tod am Nil markiert das vorläufige Ende einer jahrzehntelangen Jagd rund um den Globus. Die Details legen aber auch beschämendes Zeugnis ab über die damals laxe Arbeit der deutschen Zielfahnder, die Heim nach seiner Flucht 1962 weltweit suchten. Bereits 1965 und 1967 hatten die Ermittler Hinweise, dass Heim in Ägypten lebte.

Die Beamten schickten freundliche Anfragen auf

dem Postweg an die ägyptischen Behörden, und als die nichts Substantielles beizutragen wussten, beließen die Deutschen es dabei. Den regen familiären Reiseverkehr, den es es seinerzeit offenbar zwischen Deutschland und Ägypten gab, bemerkten sie nicht.

Denn nach SPIEGEL-Informationen besuchte nicht nur Sohn Rüdiger mehrmals den Konvertiten mit KZ-Vergangenheit am Nil. Auch seine Schwester, sein Frankfurter Anwalt und die Schwiegermutter sollen Heim getroffen haben. Verlassen konnte er sich dabei stets auf seine Schwester Hertha. Nach jüngsten Erkenntnissen war sie es, die Bargeld im Koffer in die Schweiz brachte und von dort aus nach Ägypten transferierte, unter Verwendung von Heims nur leicht abgewandeltem Namen: Er benutzte einfach seinen zweiten Vornamen Ferdinand. Von dem Geld kaufte der Mann am Nil nicht nur Schokoladenkuchen, sondern über einen Mittelsmann auch Immobilien, darunter das Hotel "Bagdad" und eine Wohnung in Alexandria. An den Ermittlern ging der nur mäßig kaschierte Fluss des Geldes damals komplett vorbei. Heims Schwester, die immer ihre schützende Hand über den Bruder und sein Andenken hielt, starb 1997; kurz vorher hatte sie in Wien einem Bekannten offenbart, ihr Bruder sei an Krebs gestorben. Nur den Ort verschleierte sie: Angeblich habe Heim in Südamerika das Zeitliche gesegnet. Der Rest der Mitwisser schwieg eisern. Noch vor sechs Monaten erklärte Heims Sohn Rüdiger, "wenn er tot sein sollte, weiß ich auch nicht, wo er begraben ist".

Den Verdacht, dass Heim junior mehr wusste, als er sagte, hegten die Fahnder seit Jahren. Wiederholt wurden sie bei ihm vorstellig. Auch nachdem sie 2004 einen erneuten Hinweis auf Ägypten erhielten. Diesmal ließen sie einen Verbindungsmann vor Ort recherchieren. Der konnte jedoch keine einzige der nun so zahlreich aufgetauchten Spuren finden.

Die Fahnder irritiert nach der Enthüllung, dass Heims Familie im heimischen Baden-Baden den Gesuchten in den vergangenen 16 Jahren nicht schon längst für tot erklärt hatte. Genährt werden die Zweifel zudem durch einen aktuellen Hinweis, nach dem Heim angeblich in Spanien lebe und weiter mit Geld aus dem Umkreis der Familie versorgt werde - zuletzt Ende Januar. Vorerst sind die Ermittler deshalb nicht bereit, die Akte zu schließen. Vor allem die fehlende Leiche und die seltsame Rolle von Heims Sohn Rüdiger bereitet den Experten noch Kopfzerbrechen. Heim junior will dabei gewesen sein, als sein Vater starb, über den Verbleib des Leichnams weiß er aber nichts Genaues - angeblich. In Kairo wollen die Stuttgarter Beamten nun nach DNA-Beweisen suchen.

Immerhin schließt die prall gefüllte Aktentasche Heims, die nun aufgetaucht ist, Wissenslücken über die spektakuläre Flucht. Unter den Dokumenten ist auch ein achtseitiger, nie abgeschickter Brief Heims vom 19. März 1979 an den SPIEGEL, als "Erwiderung" auf einen SPIEGEL-Artikel über Heims dunkle Vergangenheit. Darin räumt er mit dem Verdacht auf, er habe vor seinem abrupten Verschwinden 1962 einen Insider-Tipp bekommen: Es war "reiner Zufall, dass die Polizei mich nicht festnehmen konnte, weil (ich) gerade beruflich außer Haus war".

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