Das Haus in der Garibaldistraße
published 07/07/1975
Ex-Geheimdienstchef Isser Harel über die Jagd nach Adolf Eichmann
Es war im Herbst 1957, aber ich erinnere mich noch so deutlich, als sei es gestern gewesen. Damals faßte ich den Entschluß, Adolf Eichmann zu fangen. Zwölfeinhalb Jahre waren vergangen, seit die schauerliche Karriere des Mannes beendet war, der
den Auftrag gehabt hatte, das jüdische Volk völlig auszurotten. Es begann mit einem Anruf aus Jerusalem. Walter Eytan, Generaldirektor des israelischen Außenministeriums, teilte mir mit
ungewöhnlich erregter Stimme mit, daß er mich sobald wie möglich sprechen müsse.
Als wir uns in Tel Aviv in einem Café trafen, sah ich sofort, daß er vor Erregung fast zitterte. Ihm war von Dr. Shinar, dem Chef der israelischen Wiedergutmachungs-Mission in Westdeutschland,
die Meldung zugegangen. daß Eichmann noch lebe und seine Anschrift in Argentinien bekannt sei. Jeder
Geheimdienstchef weiß, daß man auf solche überraschenden Nachrichten nicht allzuviel Hoffnung setzen darf. In den Jahren nach Eichmanns Untertauchen hatten wir immer wieder Hinweise auf sein angebliches Versteck bekommen, aber die Nachforschungen
waren enttäuschend und erfolglos gewesen. Wir wußten nicht einmal genau, ob er überhaupt noch am Leben war.
Ich weiß heute noch nicht, warum ich diesem neuesten Bericht mehr Glauben schenkte als allen vorangegangenen. Jedenfalls fuhr ich sofort zurück ins Amt und bat unseren Archivar, mir alles
verfügbare Eichmann-Material zu bringen. In dieser Nacht saß ich stundenlang über den Eichmann-Akten. Vor mir formierte sich allmählich das Bild eines Teufels, dessen Verbrechen in den Annalen der
Menschheitsgeschichte nicht ihresgleichen hatten. Als ich im Morgengrauen vom Schreibtisch aufstand, wußte ich, was zu tun war: Mein Entschluß stand fest, Eichmann zu fassen, koste es. was es wolle.
Bald darauf kam Shinar zu einem kurzen Besuch nach Israel. Er erzählte mir, seine Eichmann- Information stamme
von dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Um nicht aufzufallen, hatten Bauer und Shinar sich in einem Rasthaus an der Autobahn Köln-Frankfurt getroffen. "Eichmann ist aufgespürt worden", begann Bauer ohne jede Vorrede. "Adolf
Eichmann?" fragte Shinar. "Ja, Adolf Eichmann. Er ist in Argentinien."
"Und was wollen Sie machen?" "Ich möchte zu Ihnen ganz offen sein", sagte Bauer. "Ich weiß nicht, oh wir uns auf
die deutsche Justiz ganz verlassen können, von den Angehörigen der Deutschen Botschaft in Buenos Aires gar nicht zu reden. Ich sehe keinen anderen Weg, als mich an Sie zu wenden, Man weiß, daß
Sie tüchtige Leute haben, und niemand könnte mehr daran interessiert sein als Sie, Eichmann festzunehmen.
Selbstverständlich möchte ich in dieser Sache mit Ihnen Verbindung halten, aber nur unter der Voraussetzung, daß es strikt geheim bleibt."
Sichtlich bewegt antwortete Shinar: "Israel wird nie vergessen, was sie getan haben. Natürlich bin ich bereit. persönlich die volle Verantwortung für die Geheimhaltung unseres Kontakts zu
übernehmen. Wir werden nichts darüber verlauten lassen, es sei denn mit Ihrer ausdrücklichen Zustimmung." Sobald Shinar aus Israel nach Köln zurückgekehrt war, schickte ich ihm den Sonderagenten
Shaul Darom. der die Verbindung zu Fritz Bauer aufnehmen sollte. Am 7. November 1957 suchten die beiden Israelis
Bauer in dessen Wohnung auf. Shinar stellte seinen Begleiter vor, dann ließ er die beiden allein.
"Ich sollte Ihnen für Ihre schnelle Reaktion danken", sagte Bauer ... Ich war überzeugt, daß Sie die einzigen sein
würden. die handeln können. Ich glaube. daß wir diesmal Eichmann wirklich auf der Spur sind."
Shaul: " Können wir uns auf Ihren Informanten verlassen?"
Bauer: "Die Information stammt von einem gebürtigen Deutschen, der sieh als Halbjude bezeichnet und jetzt in
Argentinien lebt. Wir wollen zur Zeit seinen Namen nicht preisgeben. Ich muß zugeben, daß ich ihn nicht persönlich, sondern nur brieflich kenne. Ich vermute, daß er mehr weiß, als er in diesem
Stadium enthüllen will. Er hat uns Eichmanns Anschrift angegeben, aber nicht mitgeteilt, unter welchem Namen er
dort lebt."
"Wissen Sie etwas über Ihren Gewährsmann?" fragte Shaul.
"Nein, ich weiß nur, was er über sich selbst mitgeteilt hat", antwortete Bauer. "Jedenfalls stimmen manche der von
ihm gegebenen Einzelheiten mit bekannten Eichmann-Details überein, zum Beispiel Angaben über die Söhne, die vor
seinem Verschwinden geboren sind:"
Shaul sagte: "Wenn ich nicht irre, ist dies nicht die erste Meldung über Eichmanns Flucht nach Südamerika:"
"Das ist richtig. Verschiedene Quellen von zweifelhafter Verläßlichkeit behaupten, er sei 1947 oder 1948 in Argentinien eingetroffen und lebe irgendwo im Süden. Daß die neuesten Meldungen mit
früheren übereinstimmen, macht die Sache gerade ermutigend."
Bauer schlug vor, zunächst Namen und Identität des Mannes herauszufinden, der an der ihm genannten Adresse lebte:
4261 Chacabuco-Straße in Ohvos, Buenos Aires. Sollte das gelingen. wollte er einen Eichmann-Kenner nach
Argentinien schicken, der ihn identifizieren könne.
Irgendwie stimmte das alles nicht.
Dann wollte Bauer die Bonner Regierung drängen, von Argentinien die Auslieferung Eichmanns zu verlangen. Doch über die Aussichten eines Auslieferungsantrags machte er sich wenig Illusionen. Seiner
Meinung nach würde es notwendig sein, daß Israel und die Bundesrepublik gleichzeitig Druck auf Argentinien ausübten. Da auch mir das Problem der Auslieferung Sorge machte, hatte ich Shaul
angewiesen. Bauers Einstellung zu sondieren -- mit größter Vorsicht.
Shaul: "Falls wir beweisen können. daß der Mann wirklich Eichmann ist. werden wir höchstwahrscheinlich auf
unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen, sobald wir seine Auslieferung verlangen. Am Ende könnte sich Eichmann,
statt vor Gericht zu kommen, die Gelegenheit bieten, wieder zu verschwinden und seine Spuren noch besser zu verwischen als vorher."
"Das befürchte ich auch", entgegnete Bauer, "und ich würde den Gedanken nicht von mir weisen, daß Sie ihn mit Ihren
eigenen Methoden nach Israel schaffen."
Shaul bat um Kopien von Dokumenten, die ihm bei der Aufspürung Eichmanns helfen könnten, und Bauer sagte zu, ihm das Material in zwei Stunden zu verschaffen. Zum Schluß wollte Shaul wissen, wer über ihren Kontakt
informiert sei. Bauer antwortete, er habe nur einen einzigen Menschen eingeweiht, eine hochstehende Persönlichkeit
von großer Integrität.*
Da Bauer sich geweigert hatte, uns den Namen seines Informanten zu nennen, konnten wir zunächst nur das Anwesen
4261 Chacabuco-Straße, Olivos, Buenos Aires, inspizieren.
Ich übertrug diese Aufgabe Yoel Goren, einem erfahrenen Agenten, der vor seinem Eintritt in den Geheimdienst lange Zeit als Vertreter einer Privatfirma in Lateinamerika gearbeitet hatte. Im
Januar 1958 reiste er nach Buenos Aires ab.
Um Gorens schwierigen Auftrag etwas zu erleichtern. attachierte ich ihm Menashe Talmi, einen Israeli, der die Geschichte jüdischer Siedlungen in Argentinien erforschte. Er kannte die Gewohnheiten
des Landes, und da er sehr gesellig war, hatte er in Buenos Aires viele gute Beziehungen angeknüpft.
Goren und Talmi erkundeten mehrmals die unmittelbare Umgebung des Hauses 4261 in der Chacabuco-Straße und photographierten das Gebäude insgeheim. Die Straße war ungepflastert, alles machte einen
schäbigen Eindruck. Irgendwie stimmte das alles nicht. Der ärmlich wirkende Vorort Olivos. die Straße und das armselige kleine Haus paßten nicht zu dem Bild, das wir uns vom Leben eines
55-Führers vom Range Eichmanns machten.
Goren schloß daraus, daß Eichmann hier keinesfalls wohnen könne, Der Bericht, den mir Goren nach seiner Rückkehr
vorlegte, schloß mit dem Ergebnis, daß Bauers Information nicht stichhaltig sei, aber ich war anderer Meinung und
bat daher Shaul Darom, noch einmal mit Bauer zu sprechen.
Sie trafen sich am 21. Januar 1958 in Frankfurt. Bauer hatte Verständnis für unsere Lage und war einverstanden. uns
seinen Gewährsmann zu nennen: Er hieß Lothar Hermann und wohnte in Coronel Suárez. Bauer schrieb einen
Empfehlungsbrief, den unser Mann als Legitimation benutzen sollte.
"Meine Tochter ist mit
Nicolas Eichmann ausgegangen."
Um Risiken zu vermeiden, sollte unser Agent nicht als Israeli, sondern als Bauers Abgesandter auftreten. Ein Zufall
kam uns zu Hilfe: Die israelische Polizei wollte gerade einen ihrer besten Ermittlungsbeamten. Efraim Hofstaetter, nach Südamerika schicken, wo er ein Verbrechen aufklären sollte. Hofstaetter war
bereit, nach Beendigung seiner offiziellen Ermittlungen den Auftrag von mir zu übernehmen.
Zusammen mit Menashe Talmi fuhr Hofstaetter nach Coronel Suárez, einer kleinen Ortschaft etwa hundert Kilo-
* Gemeint war der damalige hessische Ministerpräsident August-Georg Zinn.
meter südwestlich von Buenos Aires. Allein ging Hofstaetter dann zu der Wohnung Hermanns und stellte sieh dem Hausherrn als Vertreter einer deutschen Behörde vor. Doch Hermann, ein kleiner,
magerer Mann, gab sich keine Mühe, sein Mißtrauen zu verbergen. "Woher soll ich wissen, daß Sie die Wahrheit sagen? Jeder kann so etwas behaupten. Und außerdem -- was haben diese Behörden mit mir
zu tun?"
Darauf Hofstaetter: "Ich habe einen Empfehlungsbrief von Herrn Dr. Bauer. Hier ist der Brief, sehen Sie."
Der Brief in seiner ausgestreckten Hand wurde nicht entgegengenommen. Hermann beachtete das Schriftstück überhaupt nicht. Hofstaetters Unbehagen wuchs. Doch dann rief Hermann seine Frau herein,
stellte ihr den Gast vor und hat sie, den Brief vorzulesen.
Er ist blind, er hat meine ausgestreckte Hand gar nicht gesehen, fuhr es Hofstaetter durch den Kopf. Und die Frau las vor:
Der Überbringer dieses Briefes ist der Mann, über dessen Besuch ich Sie in meinem Brief mit dem heutigen Datum in Kenntnis gesetzt habe. Er wird mit Ihnen über das Thema unserer Korrespondenz
sprechen.
Mit freundlichen Grüßen Dr. Bauer Nach kurzem Schweigen setzte die Frau hinzu: "Die Unterschrift ist zweifellos
Bauers Schrift." Das Eis war gebrochen.
Hermann wandte sich an Hofstaetter: "Als junger Rechtsanwalt habe ich auch Ermittlungen angestellt. Aber als Hitler an die Macht gekommen ist, hat sich alles geändert. Meine Eltern sind von den
Nazis ermordet worden, und auch ich habe Erfahrungen aus erster Hand mit den Greueln der Konzentrationslager. Ich habe jüdisches Blut in den Adern, meine Frau dagegen ist Deutsche, und unsere
Tochter ist gemäß den Traditionen ihrer Mutter erzogen worden."
"Wie sind Sie eigentlich auf Eichmanns Spur gestoßen?" fragte Hofstaetter.
"Sagen wir, es war eine Kombination aus Zufall und scharfsinniger Analyse. Ich habe eine Tochter, ein reizendes Mädchen. Bis vor anderthalb Jahren haben wir in Buenos Aires gewohnt, im Viertel
Olivos. Dort hat sie einen jungen Mann kennengelernt, der Nicolas Eichmann heißt. Er ist dann mit ihr
ausgegangen und hat sie mehrmals zu Hause besucht.
"Natürlich wußte er nicht, daß ich und meine Tochter jüdisches Blut haben. Seit wir in Argentinien sind, hält man uns für "reinrassige" Deutsche. Also hat sich Nicolas in unserer Gegenwart ganz
offen geäußert. Einmal war von dem Schicksal der Juden im Zweiten Weltkrieg die Rede. Da sagte er. es wäre besser gewesen, wenn die Deutschen ihr Vernichtungswerk bis zu Ende geführt hätten. Ein
anderes Mal erzählte er. im Krieg sei sein Vater Offizier gewesen und habe seine vaterländische Pflicht getan.
"Eines Tages las meine Frau in der hiesigen Zeitung, in Frankfurt finde ein Prozeß gegen einen Kriegsverbrecher statt. Dabei wurde auch ein Mann namens Adolf Eichmann erwähnt, er soll hei den Massenmorden eine Hauptrolle gespielt haben. Als ich den Namen hörte.
durchzuckte mich der Gedanke: Nicolas Eichmann muß der Sohn von diesem Adolf Eichmann sein.
"Sofort habe ich dem Staatsanwalt in Frankfurt geschrieben und ihm meinen Verdacht mitgeteilt. Ein Bnd wechsel entspann sich, und er hat mich gebeten, der Sache nachzugehen.
Zusammen mit seiner Tochter ss at Hermann dann nach Buenos Aires gefahren. Über ihren Besuch bei Eichmann
berichtete das Mädchen selbst: "Ich habe an die Tür geklopft, und eine Frau hat aufgemacht. Ich fragte sie auf deutsch, ob dies das Haus der Familie Eichmann sei. Sie antwortete nicht sofort, und während dieser Pause kam ein Mann mittleren Alters dazu und blieb neben
ihr stehen. Ich fragte ihn, ob Nick zu Hause sei. Er sagte. nein, Nick mache Überstunden. Daraufhin fragte ich ihn, ob er Herr Eichmann sei. Keine Antwort. Also fragte ich, ob er Nicks Vater sei. Er sagte, ja. aber erst nach langem Zögern."
Hofstaetter wollte noch mehr über die Familie Eichmann wissen. Hermanns Tochter erzählte, die Liebmanns hätten
fünf Kinder. von denen drei in Deutschland und zwei in Argentinien geboren seien: das Alter der drei ältesten Söhne stimme mit den Angaben in dem Brief des Staatsanwalts überein.
5000 Pesos für den blinden Informanten.
Hofstaetter blieb skeptisch:
brauchen eindeutige Beweise, erst dann können wir praktische Schritte unternehmen." Und er zählte auf, was zur Identifizierung Eichmanns benötigt werde: sein jetziger Name. seine Arbeitsstelle, Einzelheiten über sein Auto und eine Photographie.
Hofstaetter: "Vor allem hätte ich gern seine Fingerabdrücke, das sind unwiderlegliche Mittel der Identifizierung."
Hermann war bereit, weiter zu recherchieren, die entstehenden Ausgaben müßten ihm allerdings ersetzt werden. Kurze Zeit darauf schickte Talmi ihm aus Buenos Aires 5000 Pesos. Hermann konnte mit
seiner Arbeit beginnen.
Sein erster Bericht trug das Datum des 19. Mai 1958. Hermann meldete, er habe Einblick in das Grundbuch der Ortschaft La Plata in der Provinz Buenos Aires genommen und festgestellt. daß ein
gewisser Francisco Schmidt. österreichischer Staatsbürger, am 14. August 1947 ein Grundstück, die Parzelle 4261 Chacabuco-Straße in Olivos, gekauft hatte.
Gegen Ende 1947 sei auf dem Grundstück ein Haus gebaut worden, das zwei getrennte Wohnungen habe: eine zur Chacabuco-Straße, die andere zum Hof hin. Die Elektrizitätsgesellschaft von Olivos hatte
zwei Zähler installiert, einen in der vorderen Wohnung auf den Namen Dagoto, den anderen auf den Namen Klement.
Hermann folgerte bedenkenlos "Francisco Schmidt ist der Mann, den wir suchen, und die Personalbeschreibung von Adolf
Eichmann, die wir aus Frankfurt bekommen haben, paßt auf ihn. So wie ich es sehe, wählte er aufs Geratewohl zwei Personen aus Lind ließ die Zähler auf deren Namen eintragen. Francisco Schmidt
und seine Familie leben im Vorderhaus. und die hintere Wohnung hat er an eine Familie ser mietet, deren Identität ich bis jetzt nicht herausgefunden habe, die aber offenbar weiß, wer er in
Wirklichkeit ist ...
Ich ließ Menashe Talmi bitten. unabhängig von Hermann herauszufinden ob die Annahme begründet war, Francisco Schmidt sei in Wirklichkeit Adolf Eichmann. Talmis Ermittlungen erbrachten den Beweis, daß Schmidt keinesfalls Eichmann sein konnte -- weder sein Äußeres noch die Daten seine Familie paßten zu dem uns bekannten Bild des
Kriegsverbrechers. Hinzu kam, daß Schmidt zwar tatsächlich der
Eigentümer des Hauses 4261 in der Chacabuco-Straße war, aber nicht dort wohnte.
Diese Feststellungen erschütterten Hermanns Glaubwürdigkeit unwiderruflich. Im August 1958 erging die Anordnung, die Kontakte zu Hermann nach und nach einschlafen zu lassen.
Und doch konnte ich mich nicht mit dem -- Gedanken abfinden, Hermanns Information sei völlig unbegründet. Über eine Einzelheit war sich immerhin die ganze Familie Hermann einig: Sie kannten einen
jungen Mann namens Nick Eichmann, dessen Alter und Personalbeschreibung mit dem übereinstimmte, was wir von Eichmanns ältestem Sohn Klaus wußten.
Aber es dauerte länger als ein Jahr, bis wir unsere festgefahrene Aktion Eichmann fortsetzen konnten. Wieder kam
der entscheidende Anstoß von Fritz Bauer. Im Dezember 1959 teilte er uns mit, was er inzwischen über Eichmann
erfahren hatte:
Eichmann war nach dem Krieg in einem deutschen Kloster untergetaucht und hatte sich unter den Schutz
katholischer Mönche aus Kroatien gestellt. Offenbar hatte er 1950 seine Frau in Österreich besucht; zu dieser Zeit besaß er schon Papiere auf seinen neuen Namen Ricardo Klement.
Dann war er mit einem Paß des Internationalen Roten Kreuzes nach Argentinien gegangen. In Buenos Aires stellte man ihm einen Personalausweis auf seinen neuen Namen aus, ein Ricardo Klement
tauchte auch 1952 im Telephonbuch von Buenos Aires auf. Eine Zeitlang betrieb Klement im Viertel Olivos eine Wäscherei, machte dann aber bankrott.
1952 oder 1953 unterhielt Klement Geschäftsbeziehungen zu dem Bankhaus Fuldner y Compañía in Buenos Aires. Die Bank wurde von einem deutschen Emigranten geleitet und befaßte sich mit der
Ausnutzung von Wasserkraft zur Umwandlung in Elektrizität. Zu diesem Zweck gründete das Bankhaus eine Tochterfirma, die C.A.P.R.I., bei der Klement angestellt war.
Damit war auch das Rätsel Hermann gelöst. Den Namen Klement hatte Hermann in seinem Bericht erwähnt, nur hatte er geglaubt, es sei ein erfundener Name, der nur den Zweck gehabt habe, einen der
beiden Stromzähler in Francisco Schmidts Haus zu rechtfertigen.
Mit falschen Papieren
nach Argentinien eingeschleust.
Unser nächster Schritt war klar: Wir mußten die Familie Klement aufspüren und feststellen, ob Ricardo Klement mit Eichmann identisch war. Mit den Ermittlungen betraute ich Yosef Kenet, einen der besten Ermittlungsbeamten Israels, der
sich im Zweiten Weltkrieg, damals in der britischen Armee, auf die Vernehmung deutscher Kriegsgefangener spezialisiert hatte. Ich arrangierte eine Zusammenkunft mit Bauer, damit Kenet alles
erfuhr, was der hessische Generalstaatsanwalt über Eichmann wußte. Ende Februar 1960 war Yosef Kenet soweit,
nach Argentinien aufzubrechen.
Auf seiner Reise machte er in zwei anderen südamerikanischen Ländern Station und suchte vier Israelis auf, die sich freiwillig gemeldet hatten, um ihm bei seinem Auftrag zu helfen. Alle vier
lebten in Südamerika, sprachen fließend Spanisch und waren mit den Verhältnissen in Argentinien gründlich vertraut: das Ehepaar David und Hedda Kornfeld (er war ein erfolgreicher junger
Architekt, sie besaß Diplome in Psychologie und Sprachen), ein Rechtsanwalt namens Lubinsky und Primo, ein Ingenieurstudent im zweiten Semester.
Kenet arrangierte ihre Reisen, legte künftige Treffpunkte fest und übergab ihnen neue Ausweispapiere mit falschen Namen. Dann reiste er weiter.
Anfang März 1960 traf er sich mit Lubinsky in Buenos Aires. Lubinskys erste Aufgabe bestand darin, über verschiedene Detekteien Erkundigungen über die Mieter im Haus 4261 der Chacabuco-Straße in
Olivos und über die Firmen Fuldner und C.A.P.R.I. einzuholen.
Kenet traf sich dann mit dem Studenten Prima, gemeinsam fuhren sie nach Olivos und erkundeten die Umgebung des mutmaßlichen Eichmann-Hauses. Primo ging in den Hof des Hauses und entdeckte dabei, daß die eine Wohnung leerstand, während in der
anderen Maler arbeiteten.
Kenet schloß daraus, daß die Mieter ausgezogen waren und Eichmann hier nicht mehr anzutreffen sei. Also konnte
es nicht gefährlich sein, im Haus selbst Erkundigungen einzuziehen. Kenet erinnerte sich, daß Klaus Eichmann am 3. März Geburtstag hatte; daher würde es keinen Verdacht erregen, wenn man Klaus
suchte, um ihm ein Geburtstagsgeschenk zu überbringen.
Am 4. März kaufte Kenet ein teures Feuerzeug und nahm es mit zu den Kornfelds, die einen Tag zuvor in Buenos Aires angekommen waren. Er bat Hedda, das Feuerzeug als Geschenk zu verpacken und an
dem Päckchen eine nicht unterzeichnete Karte anzubringen, auf die sie schreiben sollte: "Meinem Freund Nicky in Herzlichkeit zu seinem Geburtstag." Adresse: Nicolas Klement, 4261
Chacabuco-Straße, Ohvos.
Kurz darauf saß Hedda Kornfeld in der geräumigen Halle eines der besten Hotels der Stadt. Bald hatte sie einen geeigneten Pagen gefunden, der zu einem sofortigen Botengang bereit war. Sorgfältig
instruierte sie den Pagen, der Pedro hieß: "Wenn man dich fragt, wer dich geschickt hat, dann sag, ein Freund von dir, der in einem anderen Hotel arbeitet, hätte dir das Päckchen gestern gegeben
und dich gebeten, es für ihn abzuliefern, und mehr wüßtest du nicht."
Pedro hatte keine Schwierigkeiten, die Chacabuco-Straße und das Haus Nummer 4261 zu finden. Er ging in den Hof und stieß auf einen unverputzten Schuppen. Ein junger Mann und eine Frau waren damit
beschäftigt, ihn sauberzumachen. Pedro fragte: "Wohnt hier Klement?"
"Ist das nicht der Deutsche?" fragte der Mann.
"Ich weiß nicht", sagte Pedro. "Er hat hier gewohnt, aber er ist weggezogen, etwa vor drei Wochen. Wohin, weiß ich nicht. Aber der wird"s wissen." Der Mann deutete auf ein kleines Zimmer im Haus,
in dem ein älterer Anstreicher arbeitete.
Aber auch der Anstreicher konnte wenig helfen: "Ich weiß nur, daß er nach San Fernando gezogen ist, aber ich weiß nicht, wie du ihn finden kannst. Warte mal: Der Sohn arbeitet hier in der Nähe."
Er wandte sich an den jungen Mann und sagte: "Vielleicht könnten Sie mit rausgehen und ihm zeigen, wo das ist."
Sie gingen aus dem Haus und die Straße hinunter bis zur Ecke. Dann überquerten sie die Straße; da deutete der Mann auf einen Motorroller, der am Randstein abgestellt war: "Siehst du die Motoneta?
Das ist die von dem jungen Deutschen. Du erkennst ihn an seinem hellen Haar."
Kurz darauf stand Pedro vor einem jungen Burschen, der wie ein Deutscher aussah. Pedro sagte wieder seinen Spruch auf: "Ich habe einen Brief für den Mann, dessen Name hier draufsteht. Man hat mir
gesagt, daß er nicht mehr hier wohnt. Vielleicht können Sie mir sagen, wo ich den Brief hinbringen soll."
"Wir sind umgezogen", sagte der Blonde. "Nach Don Torcuato."
"Man hat mir gesagt, ich soll diesen Brief und das Päckchen ihm persönlich übergeben", sagte Pedro. Doch der Blonde blieb zurückhaltend und mißtrauisch. Er wollte immer wieder wissen, von wem das
Päckchen stamme. Doch Pedro blieb dabei: "Ich soll den Brief und das Päckchen diesem Mann aushändigen. Vielleicht könnten Sie mir die Adresse nennen?"
"Nein. Die Häuser haben keine Hausnummern, wo wir wohnen. Und außerdem
"Ach so", sagte Pedro. "Na, dann ist es wohl das Beste, ich gebe es Ihnen." Kenets Agenten beschatten den Sohn Eichmanns.
Dann fuhr er zurück ins Hotel und berichtete seiner Auftraggeberin, was er erreicht hatte. Für unsere Agenten bestand die nächste Aufgabe darin, die genaue Adresse der Familie herauszubekommen.
Kenet meinte, sie sollten versuchen, den jungen Deutschen zu beschatten, wenn er die Werkstatt verließ.
Kenet fuhr noch an demselben Tag mit Primo und Lubinsky zu einer Kreuzung, an der "Tito" (wie der Anstreicher den Deutschen genannt hatte) vorbeikommen mußte, wenn er von der Werkstatt nach San
Fernando oder Don Torcuato fahren wollte. Doch sie warteten vergebens.
Erst vier Tage später hatten sie Glück. Aus der Richtung der Werkstatt kam ein Motorroller. der wie der von Pedro beschriebene aussah. Der Fahrer war ein Mann mit dunkler Hautfarbe, und auf dem
Sitz hinter ihm saß ein blonder Bursche in Mechanikerkleidung, der Pedros Beschreibung von "Tito" entsprach.
Sie folgten dem Motorroller, verloren ihn aber schließlich aus den Augen, weil ihnen ein Leichenzug die Sicht versperrte. Sie fuhren das ganze Viertel San Fernando ab. konnten ihn aber nicht
wieder entdecken.
Am 9. März stellte Kenet zur Beschattung drei Mannschaften auf. Er selbst wartete mit Lubinsky an der Kreuzung, an der der Motorroller am Tag zuvor zuerst gesehen worden war. Primo wartete in San
Fernando. David und Hedda Kornfeld schlenderten in der Nähe der Werkstatt umher, bereit, dem jungen Mann zu folgen, falls er einen Bus besteigen sollte.
Kenet und Lubinsky warteten bis 18 Uhr, aber der Motorroller tauchte nicht auf. Am nächsten Tag erfuhren sie von den Kornfelds, daß um 17.20 Uhr ein blonder Mann die Werkstatt verlassen und einen
Bus bestiegen hatte. Sie waren ebenfalls eingestiegen und mit ihm zum Bahnhof Martinez gefahren, wo er ausstieg.
Von dort hätte der junge Mann einen Zug nach San Fernando oder nach Don Turcuato nehmen können. Aber er ging nicht in den Bahnhof, sondern bog in eine Seitenstraße. Weisungsgemäß hatten die
Kornfelds die Beschattung in diesem Stadium abgebrochen.
Am 10. März teilte Kenet nachmittags seine Leute wieder auf: Primo wartete im Zentrum von San Fernando wie zuvor. Kenet saß in dem Wagen etwa hundert Meter von der Werkstatt entfernt: die
Kornfelds standen in einer Querstraße.
Zehn Minuten vor 18 Uhr sahen sie einen Motorroller aus dem Hof der Werkstatt fahren. Wieder saßen zwei Männer darauf, ein älterer und ein junger blonder. Kenet fuhr rasch zu dem
Beobachtungspunkt der Kornfelds, holte sie ab und raste hinter dem Motorroller her.
Der Motorroller nahm denselben Weg
wie zwei Tage vorher, über San Fernando auf die Landstraße 202 und weiter in Richtung Bancalari-Don Torcuato. Nach etwa anderthalb Kilometern lag das bebaute Gebiet von San Fernando hinter ihnen.
Es war fast 18 Uhr. Der Motorroller hielt etwa 130 Meter vor einer Eisenbahnbrücke an.
Die Beschatter sahen einen der beiden Männer an den Verkaufsständen auf der linken Seite der Landstraße absteigen. während der andere etwa 50 Meter weiterfuhr. Er parkte dann neben einem kleinen
Haus, das an einem unscheinbaren Weg lag: der Garibaldistraße.
Eine halbe Stunde später gingen die Israelis an dem Haus vorbei und fragten einige Arbeiter, wer in dem Haus wohne. Ein Arbeiter sagte, dort lebe ein junger Mann mit seiner Mutter.
Kenet entschloß sich, noch einmal den Hotelpagen Pedro einzusetzen. Hedda Kornfeld nahm wieder in der Hotelhalle Platz und rief Pedro zu sich. Sie bat ihn, ein zweites Mal zu versuchen, Nicolas
Klements Adresse zu erfahren. Sie erklärte ihm, er solle sagen, der Absender des Briefs und des Päckchens habe sich bei seinem Freund beschwert, daß die Sachen nicht abgeliefert worden seien.
Als Pedro zu dem Haus in Olivos kam, sah er sich zunächst nach dem Mann um, der ihn zu "Tito" geführt hatte. Der Mann erkannte ihn wieder und erinnerte sich, daß er nach der Adresse des deutschen
Mieters gefragt hatte. Und diesmal konnte er ihm genauere Auskunft geben:
Zunächst müsse man, erklärte er Pedro, zum Bahnhof San Fernando fahren, dort einen Kleinbus, den San Fernando "colectivo" Nummer 203, nehmen und den Fahrer bitten, an der Haltestelle Avellaneda
zu halten. Wenn man aus dem colectivo ausgestiegen sei und die Straße überquere. sehe man einen Kiosk, und dort könne man nach dem Haus des Deutschen fragen. Er brauche übrigens nur den Kopf nach
rechts zu wenden -- dort werde er ein unverputztes Backsteinhaus mit flachem Dach sehen. Das sei das Haus des Deutschen.
Die ganze Familie wohnt in der Gegend.
Pedro dankte dem Mann und ging zu der Werkstatt. Im Büro sah er den jungen Deutschen, der ihn scherzend fragte: "Bist du wegen des Briefes gekommen? Ich will dir die Wahrheit sagen. Nachdem du
mir den Umschlag gegeben hast, habe ich ihn aufgemacht und den Brief gelesen. Es stand drin: "Herzliche Glückwünsche zum Geburtstag", und da mein Bruder gerade Geburtstag hatte und nicht mein
Vater, habe ich das Geschenk meinem Bruder gegeben."
"Ja. aber der Name ...
",Nicolas Klement' konnte entweder mein Vater oder mein Bruder sein. Die Dame hätte genauer sein sollen, als sie den Namen auf den Umschlag geschrieben hat. Warum hat sie "Nicolas Klement' und
nicht .Nicolas Eichmann" darauf geschrieben?"
Pedro zuckte die Schultern. "Woher soll ich das wissen?" sagte er. "Könnten Sie mir nicht die Adresse Ihres Bruders geben?"
"Tito" gab ihm ein Stück Papier und sagte: "Schreib: 3030 Avenida General Paz."
"Danke", sagte Pedro. "Und können Sie mir sagen, wie ich Herrn Klement finde? Die Dame möchte seine Adresse haben.
"Er ist jetzt in Tucumán, geschäftlich, und wir wissen nicht, wann er zurückkommt."
Pedro fuhr zum Hotel zurück, und Hedda Kornfeld fragte ihn genau aus und notierte sich jede Einzelheit, an die er sich erinnern konnte.
Kenet erkannte sofort, was Pedros Nachricht bedeutete: Eichmanns ältester Sohn Nicolas lebte in Buenos Aires.
die ganze Familie Eichmann wohnte in der Gegend zwischen San Fernando und Don Torcuato.
Jetzt schien kein Zweifel mehr möglich: Ricardo Klement war Adolf Eichmann. Die Jäger des Judenmörders hatten
ihr erstes Ziel erreicht.
Im nächsten Heft
Eichmann wird von den israelischen Agenten heimlich photographiert -- Die El Al stellt eine Sondermaschine für
die Entführung bereit -- Die Kidnapper suchen Operationsbasen in Buenos Aires.