Krupp - Die Beine abgehackt
publiziert 11/03/1953 at 15:04 Uhr
"Krupp ist der Brennpunkt, das Symbol und der Nutznießer der unheilvollen Kräfte, die den Frieden Europas bedrohen" (US-Ankläger Jackson in Nürnberg).
Während Alfried Krupp sich in dem Schweizer Dörfchen Arosa gerade die Skier zu einer Morgentour
anschnallte, wurden auf dem Sitz der US-Hochkommission Deichmannsaue die Flügeltüren des
ehemaligen Ballsaals geöffnet. Herein traten als Abgesandte des alliierten Stahl-Kontrollamtes André Janet (Frankreich), Harris Burland (England) und K.A. Dekeyserling (USA). Auf dem langen
Eichentisch lag unterzeichnungsbereit ein Berg Papiere: die Sterbeurkunden des 140jährigen Friedrich-Krupp-Konzerns.
Drei Weltmächte schlossen in diesem Raum unter steifem Zeremoniell mit dem Einzelbürger Krupp einen Vertrag, der nur nach monatelangem, zähem Verhandeln zu einem Ende kam. Im Hintergrund des
getäfelten Ballsaals der Kölner Bankierfamilie Deichmann leuchteten dazu grimmige Gesichter alter Krupp-Direktoren. Resignierte Direktor Johannes Schröder: "Der Kampf um die Montanwerte ist
verloren. Der Druck der Alliierten war zu stark."
Denn für den etwas sensiblen Alfried Krupp, der seinen Vornamen als Unterschied zu dem vitalen Großvater Alfred bekam, gab es nur eine Alternative. Unterschrieb er nicht, würden die Alliierten
den Krupp-Konzern bis ins letzte Glied zerschlagen. Die Unterzeichnung vom letzten Mittwoch sichert, daß der Familie Krupp von etwa 600 Millionen Mark erhaltenem Gesamtvermögen fast 250 Millionen
in Alfried Krupps Besitz und eigener Regie verbleiben. Der Rest muß verkauft werden. Aber auch der Erlös hierfür geht an die Krupps.
Das Dokument unter den verschiedenen Einzelschriftstücken, um das Krupps Rechtsanwälte E.J. Carroll*) aus San Franzisko und J. S. Robinson aus New York am längsten feilschten, war die berufliche
Verzichterklärung des dritten Krupp-Erben. Danach mußte Alfried Krupp von Bohlen und Halbach zusagen:
* "Mit dem Erlös aus dem vorstehend erwähnten Verkauf von Wertpapieren wird er weder erwerben noch zu Eigentum haben Wertpapiere oder Anteile irgendeines Unternehmens, das unmittelbar oder
mittelbar in der stahl- oder eisenerzeugenden Industrie in Deutschland oder im Kohlenbergbau in Deutschland tätig ist.
* "Er wird weder unmittelbar noch mittelbar eine kontrollierende Beteiligung an einem Unternehmen erwerben oder zu Eigentum haben, das unmittelbar oder mittelbar in der stahl- oder
eisenerzeugenden Industrie in Deutschland oder im Kohlenbergbau in Deutschland tätig ist, noch auch wird er eine kontrollierende Stellung in einem solchen Unternehmen innehaben."
Diese Erklärung mußte Krupp in englischem Text unterzeichnen. Als er die deutsche Übersetzung las, stellte er fest, daß er möglicherweise auch auf die Produktion von Widia (Spezialstahl für
Bergbaubohrer usw.) würde verzichten müssen. Caroll und Robinson begannen wieder zu verhandeln. Krupp unterzeichnete die Übersetzung erst, als die Hochkommission sich schriftlich festgelegt
hatte:
"Es ist Übereinstimmung dahingehend erzielt worden, daß der Ausdruck ''stahl- oder eisenerzeugende Industrie'' die Herstellung von legierten Stählen nach jeder Methode einschließt, mit Ausnahme
geringer Mengen, die in den Herrn Krupp am Tage des Inkrafttretens des Planes verbleibenden Werken betriebsbedingt sind. Die Produktion von Widia wird nicht als ein Teil der stahlerzeugenden
Industrie angesehen."
Widia ("Wie Diamant") ist alles, was vom Krupp-Stahl übrigbleibt*), der auf dem Weltmarkt einst gefürchtet und begehrt
wurde. So begehrt, daß sogar die Israelis im Rahmen der Bonner Reparationen jetzt noch gern ein Sonder-Lieferabkommen mit Krupp abgeschlossen hätten, wenn die Essener dazu bereit gewesen
wären.
Selbst der Aufbau einer kleinen Edelstahlfabrik wurde nicht erlaubt. Krupp behält nur seine von der Grunderzeugung Kohle und Stahl getrennten Unternehmen: die Lokomotivfabrik, den Fahrzeugbau,
die Essener Maschinenfabrik, den Stahlbau, Widia und seine Handelsfirmen. Krupps Weltschlager, die Gußstahlfabrikation, ist zerschlagen. Durch den Verlust von Kohle und Stahl sind dem Konzern die
Beine abgehackt.
Auch die Bundesregierung war nicht in der Lage, die Zerschlagung und den Ausschluß Krupps (als des einzigen aller unter das Entflechtungsgesetz Nr. 27 fallenden Unternehmen) von der
Stahlerzeugung und Kohlenförderung zu verhindern. Auch nach der Begnadigung und Freilassung Alfried Krupps, der in Nürnberg zu zwölf Jahren verurteilt wurde, durch McCloy im Januar 1951 waren die
Zerschlagung des Konzerns und das Berufsverbot für die Familie Krupp Vorbedingung aller Verhandlungen überhaupt.
Nach der völligen Demontage der Essener Gußstahlfabrik (das Hüttenwerk Borbeck ging mit 75 000 Tonnen Teilen hinter den Ural, und von den 156 000 Tonnen der sonst verschickten Maschinen und
Anlagen versucht Tito noch heute, die berühmte 15 000-Tonnen-Presse an Krupp zurückzuverkaufen) hatte es rechtlich keinen Grund dafür gegeben, der Friedrich-Krupp-Gesellschaft einen vertikalen
Montanbetrieb von der Kohle über das Roheisen bis zu Edelstahl zu verweigern.
Aber da war die Krupplegende. In zwei Weltkriegen hatten die Propagandisten versucht, sie in die Köpfe der Weltöffentlichkeit holzzuhämmern. Mit Erfolg. Die Vorstellung von Kanonenkönig Krupp war
auch der Grund dafür, weshalb im Essener Werk noch Sprengpatronen explodierten, als an anderen westdeutschen Fabriken schon die Marshallplan-Plakate hingen.
Die Legende stellte den Konzern unter Ausnahmerecht.
Die Krupps haben das schon einmal erlebt. Schon nach 1918 war in ihren Unternehmen für 100 Millionen Goldmark demontiert worden. Der väterlicherseits mit der amerikanischen Generalsfamilie Bohlen
verwandte Dr. Gustav von Bohlen und Halbach wurde 1923 von der französischen Ruhrbesatzung zu fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt. Er brauchte damals nur sieben Monate abzusitzen. Sein Sohn
Alfried aß nach 1945 für seinen kranken Vater sechs Jahre aus dem Blechnapf. Einer seiner Brüder fiel in Italien, ein anderer ist noch in russischer Gefangenschaft.
Die Familie ist durch den alliierten Vertrag nicht arm geworden. Mit seiner Frau Vera, die Alfried Krupp im Mai vergangenen Jahres heiratete, wird der Chef des Hauses den größten Teil der
verbleibenden Besitzwerte und des Verkaufserlöses von zusammen etwa 600 Millionen Mark behalten. Aus den Kohlenfeldern Rossenray und Rheinberg ist künftig eine Abgabe von 2½ Prozent des
jeweiligen Verkaufserlöses an ihn zu zahlen.
Von weit über einer Milliarde Mark Vorkriegsvermögen werden Alfried Krupp insgesamt zwischen 400 und 500 Millionen Mark verbleiben.
Denn auf der Schuldenseite stehen neben Lastenausgleichsforderungen allein 130 Millionen für Pensionszahlungen, die Krupp an seine Arbeiter zahlen muß. Die Aktienpakete der Capito & Klein
A.G., Düsseldorf (Walzstahl und Stahlbleche), und der Westfälischen Drahtindustrie, Hamm, gehen zu gleichen Teilen an Frau Irmgard Eilenstein, eine Schwester Krupps, und an seinen Neffen
Arnold.
Je 11 Millionen Mark (das hatte Alfried Krupp bereits früher in einer persönlichen Schuldverpflichtung gegenüber seinen Angehörigen festgelegt) zahlt er nach dem alliierten Plan an vier weitere
Familienmitglieder: Frau Waltraut Thomas, eine Schwester Alfrieds, Berthold von Bohlen und Halbach, Harold von Bohlen und Halbach und Arndt von Bohlen und Halbach.
Auf den alten Vermögensstand von über einer Milliarde Mark wird die Familie Krupp mit ihrem Unternehmensrest schwerlich wieder kommen. Es sei denn, Krupp macht während der heraufziehenden
deutschen Rüstungskonjunktur von der Tatsache Gebrauch, über die bisher mit Schweigen hinweggegangen wurde:
Auf den 103 Seiten des Vertrages steht kein Wort davon, daß Krupp nicht wieder Kanonen oder Panzer bauen darf.
*) Der ehemalige Major Earl J. Carroll ist der amerikanische Anwalt, der Alfried Krupp im Nürnberger Prozeß verteidigen wollte. Oberrichter Jackson lehnte seine Zulassung wegen Carrolls
öffentlicher Angriffe ("Wer hat denn diesen sogenannten Internationalen Gerichtshof überhaupt eingesetzt?") auf das Nürnberger Tribunal ab.*) Kruppscher Qualitätsgußstahl war neben den Kanonen in
Form von Eisen bahnschienen und -rädern, Lokomotiven, Schiffsmotoren und Schiffen ein Welt-Begriff. 1929 verkaufte die Gußstahlfabrik von einer Gesamtproduktion von 192 Millionen Mark für 53
Millionen ins Ausland.
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