Wagner horst
Horst Wagner (17. Mai 1906 in Posen ; 13. März 1977 in Hamburg) war ein deutscher Diplomat im Dritten Reich. Er wurde vor allem bekannt als Leiter der für
„Judenangelegenheiten“ zuständigen Referatsgruppe „Inland II“ im Auswärtigen Amt sowie als Verbindungsmann zwischen dem nationalsozialistischen Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop und dem Reichsführer-SS Heinrich Himmler. In diesen Funktionen war Wagner für Judendeportationen und Kriegsverbrechen mitverantwortlich. Er
war Mitorganisator der propagandistischen Zurückweisung einer als Feldscher-Aktion bezeichneten Initiative vom Mai 1943 zur Rettung Tausender jüdischer Kinder und gilt als Initiator der Tagung
der Judenreferenten in Krummhübel im April 1944. Der strafrechtlichen Verfolgung entzog er sich zunächst durch Flucht nach Südamerika und später durch systematische Verschleppung der gegen ihn
anhängigen Strafverfahren.
Wagners Vater Johannes stammte aus einer Offiziersfamilie und war zum Zeitpunkt der Geburt seines Sohnes Horst Militärbeamter in Posen. Nach dem Besuch eines Realgymnasiums in Berlin-Steglitz,
das er 1923 ohne Abitur verließ, begann er ein Volontariat bei einer Berliner Exportfirma, das er bereits nach sechs Monaten beendete. Nachdem ihm von einer Prüfungskommission des
Reichserziehungsministeriums nachträglich die Hochschulreife zuerkannt worden war, studierte Wagner Geschichte und Völkerrecht an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Außerdem belegte er
einige Kurse an der Deutschen Hochschule für Politik. Eigenen Angaben zufolge studierte Wagner seit 1925 mit Unterbrechungen an der Deutschen Hochschule für Leibesübungen und erwarb dort 1929 ein
Diplom, was sein Biograf Sebastian Weitkamp als Fälschung entlarvte.
In den Jahren 1930 bis 1936 zeichnete Wagner mit dem Namen Horst M. Wagner als Sportjournalist und freier Mitarbeiter für verschiedene Verlage und Zeitungen, unter anderem für Ullstein, das
Berliner Tageblatt und Wolffs Telegraphenbüro. In dieser Funktion unternahm er zahlreiche Auslandsreisen, um von sportlichen Wettkämpfen und über die internationalen Sportbeziehungen zu
berichten. In einer Vernehmung von 1947 gab er an, damals „wohl mit einer der bekanntesten Namen der Sportpresse“ gewesen zu sein, was von anderen Journalisten in Abrede gestellt wurde. Zudem
stellte sich Wagner, obwohl er nur ein drittklassiger Tennisspieler war, „gegen Entgelt als Tennispartner zur Verfügung“. Er lernte aber beim Tennisclub Rot-Weiß Berlin seine spätere Frau Irmgard
kennen. Sie heirateten 1935 in Cottbus.
1931 war Wagner zusätzlich für ein Dreivierteljahr beim Reichsausschuss für Leibesübungen angestellt, wo er mit der Bearbeitung von Jahrbüchern und Sportabzeichen befasst war. Um 1935 war Wagner
– der Französisch, Englisch und zumindest in Grundzügen Spanisch beherrschte – außerdem für einige Monate in der Abteilung „Ziviler Luftschutz“ des Reichsluftfahrtministeriums als Lektor und
Dolmetscher für ausländische Zeitungen tätig. Seit Anfang 1936 bemühte sich Wagner um eine Anstellung im Auswärtigen Amt, wo er auf die Anwärterliste gesetzt wurde. Ersatzweise bewarb er sich bei
der Dienststelle Ribbentrop, dem Auswärtigen Büro der NSDAP, wo er zunächst abgelehnt worden sein will – angeblich weil er weder der
Partei noch einer Parteiorganisation angehörte und weil sein Vater Vorstand einer Berliner Freimaurerloge gewesen war.
Im Vorfeld der Olympischen Spiele von 1936 wurde Wagner dann vom Leiter des England-Referats in der Dienststelle Ribbentrop, Karlfried Graf Dürckheim, angeboten, während der Spiele die Betreuung prominenter englischer Gäste
zu übernehmen. Nachdem er dieses Angebot angenommen hatte, trat er zum 1. Mai 1936 als Internationaler Sportattaché in das Ribbentrop-Büro ein. Da er während der Olympischen Spiele erfolgreich bekannte englische Persönlichkeiten wie
Lord Beaverbrook betreut hatte, blieb Wagner auch anschließend als Begleiter für englische Gäste im Büro tätig. Später wurde er im Referat England und im für Presse- und Archivarbeiten
zuständigen Hauptreferat VI beschäftigt. In seiner Nürnberger Vernehmung vom 19. Juni 1947 gab Wagner hierzu an, er sei 1937 beauftragt worden, „die deutsch-englischen Hefte zu gründen und als
Hauptschriftleiter zu leiten“, eine zweisprachige Zeitschrift der Dienststelle Ribbentrop in Zusammenarbeit mit der Britischen Botschaft in Berlin, die, so Wagner, „von mir herausgegeben im
deutschen Verlag für Deutschland bestimmt“ gewesen sei. Sechs Ausgaben dieser Zeitschrift seien erschienen. Sein Biograph Sebastian Weitkamp erwähnt in diesem Zusammenhang nur, Wagner habe Mitte
1937 versucht, die Leitung der Deutsch-Englischen Gesellschaft zu übernehmen. Dieser Versuch sei aber gescheitert.
Nach der Ernennung Ribbentrops zum Reichsaußenminister im Frühjahr 1938 folgte Wagner diesem im Februar 1938 ins Auswärtige Amt, wo er zunächst als Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in der
Protokollabteilung unter Alexander von Dörnberg tätig war. Seine Aufgaben dort umfassten unter anderem die Vorbereitung von Staatsempfängen, Danksagungen, Einladungen, Geschenk-Angelegenheiten,
Glückwunschtelegramme. 1939 wurde Wagner dem Persönlichen Stab des Reichsaußenministers zugeteilt. In dieser Position wurde er 1940 zum Legationsrat, 1943 zum Vortragenden Legationsrat ernannt.
Von 1940 bis 1945 war Wagner zudem mit der Leitung des zum Auswärtigen Amt gehörenden Gestüts Wiesenhof beauftragt. Wagner wurde 1937 NSDAP-Mitglied (Nr. 5.387.042), nachdem er im Jahr zuvor in
die SS aufgenommen worden war, wo er am 1. Januar 1944 bis zum SS-Standartenführer aufstieg. Während Wagner gegenüber seinem Trauzeugen und seiner Frau als Motivation für seinen Dienst im
Auswärtigen Amt angab, es sei schon immer sein Ideal gewesen, Diplomat zu werden, sieht sein Biograph Weitkamp ihn eher als Opportunisten, der mit seinem Anschluss an Ribbentrop unter allen
Umständen und mit größtem Anpassungsverhalten seine letzte berufliche Chance ergreifen wollte. Seine mangelnden beruflichen Qualifikationen habe er durch zuverlässige Gefolgschaft zur
NS-Ideologie auszugleichen versucht und sich durch seine „Zugehörigkeit zu einer NS-Organisation, insbesondere zur aufstrebenden SS, einen bedeutsamen Karriereschub“ versprochen.
Wagner fungierte bis Kriegsende als Leiter der Gruppe „Inland II“ des Auswärtigen Amtes, in der vier, ab Spätsommer 1944 fünf Referate zusammengefasst wurden. Die Aufgaben dieser Referate
reichten von der Rekrutierung volksdeutscher „Freiwilliger“ für die Waffen-SS in Südosteuropa über den Einbau
ausgewählter SD-Agenten und Judenreferenten in diplomatische Missionen bis zur diplomatischen Absicherung der Vorbereitung und Durchführung antijüdischer Maßnahmen in Südosteuropa, ab 1944 vor
allem in Ungarn. Zudem wurde er im April/Mai 1943 zunächst von Ribbentrop zum Verbindungsführer des
Auswärtigen Amtes zur SS berufen und dann im Gegenzug von Himmler zu seinem alleinigen Verbindungsführer zum Auswärtigen Amt bestimmt. Wagners auf dieser doppelten Beauftragung basierende
Verbindungstätigkeit bestand vor allem in der wechselseitigen Übermittlung und Koordination der Wünsche und Anregungen Himmlers bzw. Ribbentrops sowie in der Durchsetzung der zwischen beiden
Ressortchefs abgestimmten außenpolitischen und judenfeindlichen Maßnahmen.
Als der Schweizer Gesandte Peter Anton Feldscher am 12. Mai 1943 im Auftrag der britischen Regierung beim Auswärtigen Amt anfragte, ob Bereitschaft bestünde, 5000 jüdische Kinder aus dem
deutschen Herrschaftsbereich nach Palästina ausreisen zu lassen, ließ Wagner von dem ihm unterstellten Judenreferenten des Auswärtigen Amtes Eberhard von Thadden für die Gruppe Inland II eine von
ihm selbst unterstützte und von verschiedenen Abteilungsleitern des Auswärtigen Amtes gebilligte propagandistische Zurückweisung dieses Rettungsversuches ausarbeiten, der im Amtsjargon als
Feldscher-Aktion bezeichnet wurde.
Laut Urteilstext des Wilhelmstraßen-Prozesses vom 11. April 1949 unterschrieb Wagner eine auf den 25. Juni 1943 datierte und von Thadden verfasste Denkschrift, die als Grundlage für die spätere
propagandistische Zurückweisung diente. Danach sollte sich : England […] bereit erklären, die Juden nach England anstatt nach Palästina einreisen zu lassen, und solle diese Bereitschaft durch
einen entsprechenden Beschluss des Unterhauses beweisen; es sei zu erwarten, dass die Engländer diese Forderungen nicht erfüllen würden, und dann würde die Verantwortung auf ihnen lasten; sollte
aber England unerwarteterweise zustimmen, dann werde sich dieser Vorgang propagandistisch auswerten lassen und Deutschland Gelegenheit geben, den Austausch von Juden gegen internierte Deutsche
vorzuschlagen.
Ende 1943 beauftragte Ribbentrop Wagner mit dem Aufbau einer zentralen antijüdischen Propagandastelle im Auswärtigen Amt, die zunächst als „Informationsstelle X“ gegründet, schließlich als
„Informationsstelle XIV (Antijüdische Auslandsaktion)“ fungierte. In ihr arbeiteten als Vertreter des Reichssicherheitshauptamtes SS-Hauptsturmführer Heinz Ballensiefen und SS-Untersturmführer
Georg Heuchert mit. Wagner bestimmte Rudolf Schleier, der vorher an der deutschen Botschaft Paris tätig gewesen war, zu seinem Vertreter für die Leitung dieser „Informationsstelle“, welche die
„antijüdische Propaganda im Ausland zentral leiten“ sollte, unter anderem mittels zentraler Sammlung und Verteilung antijüdischer Texte, dem Aufbau eines „Jüdischen und Antijüdischen Archivs des
Auswärtigen Amtes“ sowie der Planung entsprechender Tagungen.
Im Januar 1944 schlug Wagner vor, eine Arbeitstagung einzuberufen, an der die Judenreferenten der Auslandsmissionen des Auswärtigen Amtes und die „Arisierungsberater“ der SS teilnehmen sollten,
um ihre Kooperation zu verbessern, denn es stelle sich, so Wagner, die Notwendigkeit einer verstärkten Arbeit, insbesondere auf dem Gebiet der Auslandsinformation hinsichtlich der Judenfrage. Er
erbat die Zustimmung Ribbentrops zu seinem Vorschlag, die dieser erteilte, so dass Wagner damit als Initiator der Tagung gelten [kann], die die Ziele verfolgte, die Arbeit der
‚Arisierungsberater’ mit den Propagandaaktionen zu koordinieren und zu optimieren sowie die neue Einheit als Hilfsinstrument zwischen SS und AA zu etablieren. Die Tagung fand am 3. und 4. April
in dem niederschlesischen Ort Krummhübel als Auftakt für eine „Antijüdische Aktionsstelle“ oder „Antijüdische Auslandsaktion“ statt. Franz Alfred Six forderte hier die „physische Beseitigung der
Ostjuden“, wie Thadden protokollierte. Weitere bekannte Teilnehmer der Aktion waren Harald Leithe-Jasper, Adolf Mahr, Gustav Richter, Heinz Ballensiefen, Hans-Otto Meissner als Konsul in Italien,
Peter Klassen, Paris und Hans Hagemeyer.
Nach einem Bericht der Berliner Zeitung wurden im Jahr 2010 Stasi-Unterlagen aus den 1970er Jahren gefunden, die Wagner erheblich belasten: Demnach hatte er an Kriegsverbrechen gegen
amerikanische Kriegsgefangene mitgewirkt, indem er auf Wunsch Ribbentrops deren völkerrechtswidrige Verurteilung zum Tode in die Wege leitete. Wagner vermerkte für Ribbentrop am 31. Dezember 1944 :Im Zusammenhang mit der Verurteilung von 15 deutschen Kriegsgefangenen durch
amerikanische Kriegsgerichte wegen ihres Vorgehens gegen Mitgefangene hat der Führer den Vorschlag des Herrn RAM genehmigt, sofort die Verurteilung einer entsprechenden Anzahl amerikanischer
Kriegsgefangener zur Todesstrafe herbeizuführen.
Wagners Bericht zufolge seien vom 28. bis zum 30. Dezember 1944 bereits zehn US-Soldaten zum Tode verurteilt worden, ein weiteres Todesurteil liege vor. Drei Tage später war Ribbentrops Wunsch
vollständig erfüllt, dank des Einsatzes der verantwortlichen Beamten, die für das Kriegsverbrechen sogar ihren Weihnachtsurlaub unterbrochen hatten. Wagner bat Ribbentrop am 3. Januar 1945
zufrieden um eine Belobigung : Bei der auf Anweisung des Herrn RAM […] herbeigeführten Verurteilung von amerikanischen Kriegsgefangenen haben sich verschiedene Herren […] unter Zurückstellung von
ursprünglichen juristischen Bedenken besondere Verdienste erworben[.]“
Ribbentrop schlug vor, den Verantwortlichen sollten „gelegentlich […] einige anerkennende Worte […] im Namen des Herrn RAM mündlich in geeignet erscheinender Weise“ ausgesprochen werden. Als
persönlicher Verbindungsmann Himmlers und Ribbentrops war Wagner an den Planungen zur Ermordung des französischen Generals Gustave Marie Maurice Mesny beteiligt, der sich in deutscher
Kriegsgefangenschaft befand. Die Ermordung eines französischen Generals wurde von Adolf Hitler gefordert, nachdem im Oktober 1944 der deutsche General Fritz von Brodowski, einer der
Verantwortlichen für das Massaker von Oradour, unter ungeklärten Umständen in alliierter Kriegsgefangenschaft zu Tode gekommen war. In Kooperation zwischen Reichssicherheitshauptamt, dem Chef des
Kriegsgefangenenwesens und dem Auswärtigen Amt wurde Mesny als Opfer ausgewählt und während eines Transports bei einer fingierten Autopanne von SS-Leuten erschossen. Wagner sorgte im Auftrag
Ribbentrops zusammen mit der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes dafür, dass das Verbrechen so geplant wurde, dass es notfalls völkerrechtlich kaschiert werden konnte.
Zum Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Wagner zusammen mit einigen anderen Diplomaten im österreichischen Bad Gastein von amerikanischen Truppen festgesetzt und mittels Sammeltransport in ein
Gefängnis nach Salzburg gebracht. Aufgrund des Systems des Automatischen Arrests für Funktionsträger aus Partei und Staat wurde er „in die amerikanische Besatzungszone verlegt“ und schließlich
„nach einer Odyssee durch alliierte Lager am 28. August 1946 nach Nürnberg gebracht“. In der Nürnberger Haft lernte Wagner 1947, so der Historiker Ernst Piper, die als „wichtige Zeugin im Prozess
gegen das SS-Rasse- und Siedlungshauptamt“ festgehaltene Emilie Edelmann kennen, mit der er bis 1954 eine Liebesbeziehung pflegte. Deren Tochter, die Schriftstellerin Gisela Heidenreich, hat in
einer Mischung von realer Spurensuche und literarischer Darstellung die Geschichte Wagners als NS-Täter und Geliebter ihrer Mutter dargestellt.
Da Aktenfunde nach dem Krieg den Anteil der leitenden Beamten des Auswärtigen Amtes und insbesondere von Wagners Referatsgruppe „Inland II“ an den Verfolgungsmaßnahmen gegen die europäischen
Juden offenbarten, sollte gegen ihn im Wilhelmstraßen-Prozess Anklage erhoben werden. Als die Liste der Angeklagten um Mitglieder anderer Dienststellen mit Sitz in der Wilhelmstraße erweitert
wurde, strich man Wagners Namen. Stattdessen wurde er nun als Zeuge geführt und von Robert Kempner vernommen. In erster Linie wurde er zur Ermordung General Mesnys befragt und gab Himmler, Hitler
und Ribbentrop die Schuld. Zu seiner Rolle als Leiter der Gruppe Inland II bei den Judenverfolgungen
verhört, „charakterisierte er sich selbst als Postboten, der nur Mitteilungen überbracht habe“.
In den Zeugenstand des Wilhelmstraßen-Prozesses trat Wagner am 3. März 1948. Kempner erhoffte sich aufgrund dessen genauer Kenntnisse des Vorgangs eine belastbare Aussage Wagners gegen den
Angeklagten Karl Ritter, Botschafter zur besonderen Verwendung beim Auswärtigen Amt. Ritter wurde im Unterschied zu Wagner wegen seiner Beteiligung an den Planungen zur Ermordung Mesnys
angeklagt, da er für „die Überwachung der Ausführung des Mordauftrages“ verantwortlich war. Doch Wagner erwies sich als Zeuge der Anklage wertlos. Hingegen gelang es Ritters Verteidiger Erich
Schmidt-Leichner in dieser Sache, „Wagner als den eigentlich Verantwortlichen darzustellen“.
Um Weihnachten 1947 wurde Wagner in das Internierungslager Nürnberg-Langwasser verlegt, in dem auch Personen festgehalten wurden, die später der deutschen Justiz überstellt werden sollten. Für
solche Fälle von zu erwartenden Prozessen, welche die Amerikaner nicht mehr unter eigener Regie durchführen wollten, gründeten sie im Rahmen ihrer Ermittlungsbehörde Office of Chief of Counsel
For War Crimes (OCCWC) eine Überleitungsabteilung mit der Bezeichnung Special Projects Division, mit der sie noch ausstehende Verfahren in deutsche Zuständigkeiten überführen wollten. Dabei wurde
Wagner unter den voraussichtlich künftig Anzuklagenden in der „höchsten Gruppe A“ geführt. Als im Juli 1948 ein Bericht der „Special Projects Division“ feststellte, dass sich Wagner und Thadden
bei den Judendeportationen aus der Slowakei, Kroatien, Bulgarien, Ungarn, Rumänien und den Niederlanden strafbar gemacht hatten, weil sie „die SS-Maßnahmen vollauf gebilligt“ hätten und ein
Strafverfahren vor einem deutschen Gericht drohte, floh Wagner am 25. August 1948 „aus dem schwach bewachten Lager“, gelangte über die sogenannten Rattenlinien nach Italien und schließlich nach
Südamerika.
Nachdem Wagner 1952 unter falschem Namen als Korrespondent argentinischer Zeitungen nach Europa zurückgekehrt war, nahm die Staatsanwaltschaft Essen nach seiner Enttarnung 1958 Ermittlungen gegen
ihn auf: 1967 wurde schließlich beim Landgericht Essen Anklage gegen ihn wegen Beihilfe zum Mord an 356.624 Juden erhoben. Ein Prozess gegen den anfänglich von Ernst Achenbach verteidigten Wagner
kam nicht zustande, Achenbach legte kurzfristig vor dem Termin das Mandat nieder und Wagners neuer Rechtsvertreter Hans Laternser musste sich in die Angelegenheit einarbeiten. Nach Laternsers
plötzlichem Tod übernahm der Anwalt Fritz Steinacker die 20 Bände Akten und 20 000 Dokumente. Immer neue Krankmeldungen – bestätigt unter anderem durch Gutachten des Hamburger Psychiaters Hans
Bürger-Prinz – verschleppten das Verfahren, bis es 1974 wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten vorläufig eingestellt wurde. Ein endgültiges Ende fand es schließlich mit Wagners Tod am 13.
März 1977. Der Nürnberger Ankläger Robert Kempner, der an diesem Verfahren gegen Wagner als Nebenkläger beteiligt war, schrieb im Rückblick 1978 an den damaligen Bundesjustizminister Hans-Jochen
Vogel : Diese Akte ist geradezu ein Lehrbuch dafür, wie durch jahrelange Eingaben ein Verfahren hingehalten werden kann, um dann mit einem Krankheitsattest zu enden.